Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
steckt in Schwierigkeiten, stimmt’s?« Und dann zum Doktor: »Wer ist es diesmal, Pellinore? Die Deutschen?«
»Eigentlich sind es die Russen.«
Sie starrte ihn einen Moment lang ungläubig an, bevor sie sich in Lachen auflöste.
»Und die Briten«, ergänzte Warthrop, indem er leicht die Stimme hob. »Allerdings ist es mir gelungen, die abzuwimmeln, für eine Weile jedenfalls.«
»Sidorov?«, fragte sie.
Er zuckte mit der Achsel. »Vermutlich steckt er irgendwie mit drin.«
»Dann ist es also geschäftlich. Du bist nicht gekommen, um mich zu sehen!«
»Signorina Soranzo, wie könnte ich den ganzen Weg hierherkommen und dich nicht sehen? Für mich bist du Venedig.«
Ihre Augen verengten sich; das Kompliment kam nicht gut an.
»Ich nehme an, man könnte schon sagen, dass ich ein wenig in Schwierigkeiten stecke«, fuhr er hastig fort. »Das Problem ist zwiegestalt. Der erste Teil meines Problems ist sehr groß, schwer bewaffnet und lungert draußen auf der Calle de Canonica herum. Der zweite Teil ist, denke ich, in der Gasse hinter uns. Er ist nicht so groß, trägt aber ein Messer. Mein Problem wird durch die Tatsache verschlimmert, dass mein Zug fahrplanmäßig in einer Stunde geht.«
»Und?«, fragte sie. » Perché pensi di avere un problema? Bring sie um.« Sie sagte es beiläufig, als gäbe sie ihm eine Empfehlung, wie man Kopfschmerzen behandelt.
»Ich fürchte, das würde mein Problem noch weiter verschlimmern. Meine Aufgabe ist so schon schwierig genug, auch wenn ich nicht noch obendrein zum Flüchtling werde.«
Sie schlug ihm auf die Wange. Er blieb ganz still sitzen; er achtete peinlich darauf, nicht wegzusehen.
»Bastardo!« sagte sie. »Als ich hinausgehe und dich dort sitzen sehe, mein Herz, es … Sono stupido , ich hätte es wissen müssen. Sechs Jahre lang sehe ich dich nicht. Ich bekomme keinen einzigen Brief. Bis ich denke, du musst tot sein. Wieso sonst solltest du nicht kommen? Wieso sonst solltest du nicht schreiben? Du bist in der Branche des Todes, denke ich; du musst tot sein!«
»Ich habe nie vorgegeben, etwas zu sein, was ich nicht bin«, erwiderte der Monstrumologe steif. »Ich war völlig ehrlich zu dir, Veronica.«
»Du schleichst dich aus Venedig, ohne auch nur Lebewohl zu sagen, keine Mitteilung, kein gar nichts, wie ein Dieb in der Nacht. Das nennst du ehrlich?« Sie reckte das Kinn. » Sei un cardado , Pellinore Warthrop. Du bist kein Mann; du bist ein Feigling.«
»Frag Will Henry. Auf diese Weise sage ich immer Lebewohl.«
»Ich bin verheiratet«, sagte sie plötzlich. »Mit Bartolomeo.«
»Wer ist Bartolomeo?«
»Der Klavierspieler.«
Der Doktor konnte sich nicht entschließen, ob er erleichtert oder verletzt sein sollte. »Wirklich? Nun ja, er wirkt sehr … bestimmt.«
»Er ist hier !«, fuhr sie ihn an.
»So wie ich. Womit wir wieder bei meinem Problem wären.«
»Genau! Il problema. Ich wünsche dem Russen mit dem Messer Glück, damit er dein Herz findet!«
Mit einer dramatischen Bewegung wirbelte sie von ihrem Stuhl hoch, sodass sie ihm ermöglichte, sie am Handgelenk zu erwischen, bevor sie entkommen konnte. Er zog sie dicht an sich heran und flüsterte ihr eindringlich ins Ohr. Sie hörte mit geneigtem Kopf zu, während ihr Blick auf den Boden geheftet war. Ihr Herz war offensichtlich hin und her gerissen. Sind sie erst einmal in die warthropsche Umlaufbahn gezogen worden, finden es selbst die stärksten Herzen – und Frauen besitzen diestärksten von allen – schwer, wieder daraus auszubrechen. Sie hasste und sie liebte ihn, sehnte sich nach ihm und verabscheute ihn und verfluchte sich dafür, überhaupt etwas zu empfinden. Ihre Liebe verlangte, dass sie ihn rettete, ihr Hass, dass sie ihn vernichtete.
Der grausamste Aspekt der Liebe , hatte der Monstrumologe gesagt, ist ihre unantastbare Loyalität .
* * *
Veronica und Bartolomeo wohnten direkt über dem Nachtklub in einer beengten, spärlich möblierten Bleibe, die sie mit frischen Blumen und bunten Plaids und Kunstdruckplakaten aufzuhellen versucht hatte. Nach vorne zu gab es einen kleinen Balkon, der die Calle de Canonica überblickte. Die Balkontüren standen offen, als wir hineinkamen; die weißen Vorhänge bauschten sich im milden Wind, und ich konnte die Geräusche des venezianischen Straßenlebens von unten hören.
Bartolomeo gesellte sich zu uns; die Vorderseite seines Hemds war schweißgetränkt, und seine Augen hatten jenen fahrigen, jenseitigen Blick, der Künstlern und
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