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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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geschehen!«
    Die Hand des Doktors hatte zu zittern begonnen. Ich hatte Angst, er könnte aus Versehen abdrücken.
    »Da ist … nichts«, sagte Warthrop zögernd, wie ein Echo des gequälten »Nullité!« Pierre Lebroques.
    »Nichts!«, rief Kearns in gespielter Verwunderung. »Erzählen Sie das dem armen Sidorov oder dem zerfetzten Stück Lehm neben ihm! Erzählen Sie es den armen Schweinen in Gishub oder der Mutter, die ihr Kind verloren hat, oder dem Kind, das seine Mutter verloren hat! Erzählen Sie es dem Zaren und den Leuten seines Schlages, die das Magnificum gern zähmen würden, um die Welt zu unterjochen! Wirklich, Pellinore, was für ein Monstrumologe sind Sie bloß? Eine ansteckende Krankheit mit dem Potenzial, die gesamte menschliche Rasse auszulöschen – und Sie nennen es nichts !«
    Warthrops Hand sank herab und er selbst zu Boden, überwältigt von der Ungeheuerlichkeit seiner Torheit. Die dunkle Flut schwappte über ihn und trug ihn hinab in ihre erdrückenden, lichtlosen Tiefen. Kearns hatte recht. Die Zeichen waren von Anfang an überall um den Doktor herum da gewesen – von den mit Gallerte gefüllten Säcken in Mr Kendalls Magen bis hin zu den aufgeplatzten Leichen in Gishub –, aber er hatte sich abgewandt. Er hatte sich nicht gezwungen, ins wahre Gesicht des Magnificums zu blicken, und jetzt schrie das Blut derer, deren Leben er auf dem Altar seines Ehrgeizes geopfert hatte, zum Himmel und klagte ihn an.
    Ich kniete mich neben ihn. »Dr. Warthrop? Dr. Warthrop, Sir, wir können nicht hierbleiben.«
    »Warum nicht?«, schrie er. »Für sie ist es gut genug!« Mit einer weit ausholenden Bewegung umfasste er den öden Berggipfel. Er sah zu mir auf, und ich sah nichts als Asche in seinen Augen; das kalte Feuer war erloschen. »Du hast es selbst in der Harrington Lane gesagt. Was sie sind, bin ich im Innern. Ich bin ihr Bruder, Will Henry. Ich bin ihr Bruder, und ich werde sie nicht verlassen.«

Zweiundvierzig
    »Fundamental menschlich«

    Es war mir nicht möglich, ihn dazu zu bringen, dass er sich rührte. Ich bettelte, schmeichelte, appellierte an seine Vernunft – das eine, woran er sich immer klammerte, egal wie stark die dunkle Flut ihn hinunterzog. Er wollte sich nicht rühren – oder, besser gesagt, das dunkle, sich entrollende Ding in seinem Herzen wollte nicht lockerlassen. Er schien mich nicht zu hören, vielleicht klangen meine Worte auch nur nach Kauderwelsch für ihn, unzusammenhängendes Geschwafel, das nicht mehr Sinn ergab als das Schnattern eines Schimpansen. Ich sah mich nach Kearns um und dachte dabei, dass unsere Lage wirklich verzweifelt sein musste, dass ich mich an ihn um Hilfe wandte, aber Kearns war im Nebel verschwunden. Langsam und behutsam, um ihn nicht zu erschrecken, nahm ich dem Doktor den Revolver aus der zitternden Hand; ich hatte Angst, er könnte versehentlich abdrücken und sich den Fuß wegschießen.
    Die wabernde weiße Wolke um uns herum war dichter geworden. Ich konnte in keine Richtung mehr als ein paar Schritte weit sehen und kein Geräusch außer dem Wind, der zwischen den zerbrochenen Zähnen des Berges pfiff, und meinem eigenen stoßartigen Atmen hören. Ich stand auf, entnervt und orientierungslos, und drehte mich langsam im Kreis, und eine panische Stimme in meinem Kopf flüsterte: Wo ist Kearns? Wo ist er hin? Wieso ist er weg? , während mein Finger den Abzug streichelte. Was war das da im Nebel? War es ein Stalagmit oder die Gestalt eines einstmals menschlichen Kindes Typhoeus’ , das aus demverschwommenen Weiß auftauchte? Ich richtete den Revolver darauf und rief Kearns’ Namen.
    Etwas ein zehntausendstel Zoll außerhalb meines Gesichtsfelds schoss auf mich zu, knallte mir mitten in den Rücken und schleuderte mich kopfüber auf die flache Schale in der Mitte des zerstörten Thrones Typhoeus’ zu. Der Aufprall presste mir die Luft aus den Lungen, und der Revolver des Doktors fiel mir aus der Hand. Ich landete auf dem Rücken und rollte mich herum, und als ich mich aufrichtete, sah ich mich den anzüglich grinsenden, ausgetrockneten Überresten eines lebenden Leichnams gegenüber, einem menschlichen Giftsack, dessen Bauch mit Sternenfäule gefüllt war und dessen enorme Masse dorniger Zähne im kraftlosen Licht einer erstickten Sonne funkelten. Ich krabbelte zurück, es stürzte vor, und meine Entsetzens- und seine Wutschreie bekriegten sich mit dem hohen Schleifen des Winds am zeitlosen Stein. Meine Hand fuhr in die Jackentasche

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