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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Nichts!«
    Manchmal hörte die Frau auf der andern Seite des Flurs ihn schreien, und egal, wie spät es war, stieg sie aus dem Bett und warf ihren Morgenrock über und ging über den Flur zu seinem Zimmer. Sie setzte sich zu ihm. »Still jetzt. Scht! Es ist gut. Es ist nur ein Traum. Still jetzt. Scht!« Der Kehrreim einer Mutter. Sie duftete nach Lilien und Rosenwasser, und manchmal vergaß er es und nannte sie Mutter. Sie verbesserte ihn nicht. »Still jetzt. Scht! Es ist nur ein Traum.«
    Oder sie sang ihm Lieder vor, die er noch nie zuvor gehört hatte, in Sprachen, die er nicht verstand. Ihre Stimme war wunderschön, ein voller Samtvorhang, ein Fluss, den die Dämonen nicht überqueren konnten. Er hatte nicht gewusst, dass eine irdische Stimme so himmlisch klingen konnte.
    »Stört es dich, wenn ich dir vorsinge, William?«
    »Nein, es stört mich nicht. Es gefällt mir, wie es sich anhört.«
    »Als ich ein junges Mädchen ungefähr in Lillys Alter war, war es mein großer Ehrgeiz, auf der professionellen Bühne Opern zu singen.«
    »Haben Sie es gemacht?«
    »Nein, nie.«
    »Warum nicht?«
    »Ich heiratete Mr Bates.«
    * * *
    Ich jagte dem nach, den ich verloren hatte, dem Jungen, der ich war, bevor es sich ergeben hatte, dass ich bei ihm einzog. Eine Zeit lang – eine sehr lange Zeit lang – glaubte ich, ich jagte dem Monstrumologen nach. Schließlich war er es, der vom Angesicht der Erde verschwunden war.
    Ich dachte, ich sähe ihn eines Abends in der Oper. Mrs Bates nahm Lilly und mich zu einer Inszenierung von Wagners Rhein g old mit, die einen Monat zuvor im Metropolitan Opera House Premiere gehabt hatte.
    »Ich hasse die Oper!«, beklagte Lilly sich. »Ich begreife nicht, wieso Mutter mich dorthin schleppt.«
    Wir saßen in einer Privatloge hoch über dem Orchester, als ich dachte, ich hätte ihn in der Menge entdeckt. Ich wusste , dass er es war. Ich fragte nicht, weshalb der Monstrumologe die Oper besuchen sollte – das spielte keine Rolle. Er war es! Der Doktor war zurückgekommen! Ich machte Anstalten, aufzustehen; Lilly zog mich in den Sessel zurück.
    »Es ist Dr. Warthrop!«, flüsterte ich aufgeregt.
    »Sei nicht albern!«, flüsterte sie zurück. »Und erwähne seinen Namen nicht vor Mutter!«
    Ich dachte, ich sähe ihn ein zweites Mal, im Central Park, wo er mit einer dänischen Dogge spazieren ging. Als er näher kam, erkannte ich, dass er zwanzig Jahre älter und zwanzig Pfund schwerer war.
    * * *
    Wann immer ich von Helrung sah, stellte ich dieselbe Frage:
    »Haben Sie etwas vom Doktor gehört?«
    Seine Antwort am siebzehnten Tag war dieselbe wie seine Antwort am siebenundzwanzigsten:
    »Nein, Will. Noch nichts.«
    Am siebenunddreißigsten Tag meines Exils, nachdem ich wieder einmal diese Worte gehört hatte: Nein   … noch nichts , sagte ich zu ihm: »Irgendetwas stimmt nicht. Er hätte inzwischen geschrieben haben müssen.«
    »Es könnte sein, dass etwas nicht stimmt …«
    »Dann müssen wir etwas unternehmen, Dr. von Helrung!«
    »Oder es könnte bedeuten, dass alles in bester Ordnung ist. Falls Pellinore die Spur des Magnificums aufgenommen hat, wird er sich nicht die Zeit nehmen, auch nur zwei Wörter zu schreiben. Du hast dem Mann gedient; du weißt, dass es so ist.«
    Das wusste ich tatsächlich. Wenn das Jagdfieber ihn überkam, konnte ihn nichts von seinem Ziel ablenken. Aber ich machte mir Sorgen.
    »Sie haben doch Freunde in England«, sagte ich. »Können Sie sie nicht fragen, ob sie wissen, wo er hingegangen ist?«
    »Sicher kann ich das – und werde es, wenn die Umstände es gebieten, aber jetzt noch nicht. Pellinore würde es mir nie verzeihen, wenn ich diese spezielle Katze aus dem Sack ließe.«
    * * *
    Eines stürmischen Nachmittags Anfang April kam ich zurück, um ihn um einen besonderen Gefallen zu bitten.
    »Ich will im Monstrumarium arbeiten.«
    »Du willst im Monstrumarium arbeiten!« Der alte Monstrumologe runzelte die Stirn. »Was sagt Emily dazu?«
    »Es spielt keine Rolle, was sie sagt. Sie ist nicht mein Vormund, und sie ist nicht meine Mutter. Ich brauche nicht ihre Erlaubnis, um irgendetwas zu machen.«
    »Mein lieber kleiner Will, ich vermute, die Sonne selbst braucht ihre Erlaubnis, um zu scheinen. Wieso willst du im Monstrumarium arbeiten?«
    »Weil ich es satthabe, in der Bibliothek zu sitzen. Ich habe so viel gelesen, dass es sich anfühlt, als würden mir die Ohren bluten.«
    »Du hast gelesen?«
    »Sie hören sich an wie Mrs Bates! Ja,

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