Der Montagsmann: Roman (German Edition)
halbwüchsiger Junge aus, dass Isabel sich fragte, wie so jemand schon in den höchsten Kreisen der Fachgastronomie als erstklassiger Sommelier gehandelt werden konnte. Aber guter Wein war schon seit seiner Jugend ein wichtiges Thema für ihn gewesen. Sein Vater hatte als Küfer in einem renommierten Weinbaubetrieb gearbeitet, und Harry hatte die Leidenschaft für edle Tropfen quasi bereits als Kind vor Ort aus den Fässern genuckelt. Außerdem war er ein guter Koch mit einer speziellen Begabung für Soufflés.
Das hatte Natascha ihr erzählt, so wie auch sonst alles, was sich in diesem Haushalt und dieser seltsamen kleinen Familie, die nicht durch Verwandtschaft, sondern Kollegialität und Freundschaft zusammengeschweißt wurde, im Laufe der letzten Jahre abgespielt hatte.
Harry war seit zwei Jahren Mitglied der Crew, wie Natascha es nannte, und sie selbst war schon doppelt so lange im Team. Ganze vier Monate lang hatte Raphaela es ausgehalten, bevor sie und Fabio sich fürchterlich in die Wolle gekriegt hatten und sie mit fliegenden Fahnen zu Giulio übergelaufen war.
»Was meinst du, warum sie hergekommen ist?«, fragte Isabel beiläufig.
Harry, der sich mit ein paar bleichen Geflügelteilen beschäftigte – sie würde nie lernen, sich an den Anblick roher Fleischstücke zu gewöhnen, schon gar nicht an solche, denen man noch ansah, dass sie zum Fliegen, Stelzen oder Schwimmen benutzt worden waren –, zuckte zusammen. »Wen meinst du?« Er schaute auf, aber er sah sie nicht an, sondern fixierte einen Punkt hinter ihr.
»Na, Raphaela natürlich«, sagte Isabel ungeduldig. »Sie will was von ihm! Ich sehe doch, wie sie ihn ständig anschaut!«
Natascha kam in die Küche. »Da ist was Wahres dran, fürchte ich.«
Isabel ließ das Messer sinken und drehte sich zu ihr um. »Du hast es auch bemerkt.«
»Das kann einem kaum entgehen.«
»Also, was will sie von ihm?«
»Dasselbe, was du auch von ihm willst, Herzchen.«
Isabel fühlte, wie sie errötete. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»Da kann ich dir auf die Sprünge helfen«, sagte Raphaela mit ihrer unverwechselbar rauchigen Stimme. Sie stand in der offenen Küchentür.
Isabel starrte sie an. Raphaela trug ein rotes, eng anliegendes Kleid in derselben Farbe wie ihr Lippenstift. Ihr Haar fiel wie ein glänzender Vorhang halb über ihr Gesicht, aber das Glitzern in ihren Augen war deutlich zu erkennen.
»Vielleicht bereue ich es ja, dass ich mich mit ihm gestritten habe«, sagte sie. »Vielleicht möchte ich mich gern wieder mit ihm vertragen.«
H allo«, sagte Fabio. Es kam so kurzatmig heraus, als sei er ein paar hundert Meter gesprintet, und er hörte den Puls in seinen Ohren hämmern wie eine ganze Batterie Pressluftbohrer, als er vor Daphne stehen blieb. »Guten Tag.«
»Tag.« Sie schaute sich um. »Es ist ja wirklich toll hier geworden! Richtig edel!«
»Danke«, sagte er höflich, heldenhaft den Drang unterdrückend, sie an den Haaren zu packen und aus dem Haus zu schleifen, bevor Isabel womöglich aus der Küche kommen und sie sehen – und erkennen! – konnte. »Was führt Sie her?«
»Erinnern Sie sich nicht an mich?«
Fabio tat so, als müsste er überlegen. »Äh … doch, ja. Sie waren schon mal hier, wegen einer Hochzeit, oder? Sie sagten, Sie würden noch einmal darüber nachdenken und dann Das Schwarze Lamm vielleicht doch buchen. Haben Sie sich jetzt entschieden?« Der letzte Satz war draußen, bevor er ihn sich verkneifen konnte. Besorgt fragte er sich, ob sie den boshaften Unterton in seiner Stimme wahrgenommen hatte.
Daphne musterte ihn unter halb gesenkten Lidern hervor. »Nein, im Moment sieht es nicht danach aus.«
»Sind Sie hergekommen, um mir das zu sagen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wohl kaum. Ich habe neulich über drei Ecken gehört, dass Isabel noch hier in der Stadt sein soll.«
»Wer?«
»Meine Freundin«, sagte sie ungeduldig. »Isabel van Helsing, Sie erinnern sich?«
»Ja, und?«, gab er betont beiläufig zurück.
»Tun Sie nicht so.« Ihre Stimme wurde scharf. »Ich weiß, dass sie hier ist! Es war nicht bloß ein Gerücht, es stimmt! Hier drin trägt alles ihre Handschrift! Dasselbe Stuckolustro hat sie in meinem Badezimmer gemacht!«
Fabio fühlte sich, als hätte ihm jemand in den Magen geboxt. Er merkte, wie seine Schultern nach vorn sackten. »Sie haben Recht«, sagte er müde. Er wandte sich ab. »Ich gehe sie holen, einen Moment.«
»Sekunde.«
Er blieb stehen und wandte sich
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