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Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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hätte fast das Gleichgewicht verloren. Reißt sich in letzter Minute zusammen, lehnt sich an die Wand. Hält krampfhaft die Geldscheine fest. Dreht sich wieder zum Bett um, läßt sich auf das Laken fallen. Greift verzweifelt nach der Decke. Schlafen, jetzt, ich muß schlafen, denkt er, muß weg von all diesem Schrecklichen. Daß sie so wütend werden mußte! Er war nicht vorbereitet auf ihren Angriff, er war naiv. Der erste Tag ist der schlimmste, denkt er, es wird vergehen, wird zur Gewohnheit werden. Er hört seinen Atem und spürt, daß der von einem anderen stammt, einem anderen, der neben ihm liegt und ihm ins Ohr pustet. Das Gefühl ist unangenehm, es ist noch jemand im Zimmer, einer, der sieht und hört und weiß. Er kriecht zur Wand. Da bleibt er liegen, ihm fällt ein, daß niemand ihn gesehen hat, er ist ein unbedeutender Mann, er hat keine Spuren hinterlassen. Oder hat er das doch? Er gibt ihm nach, dem ersten kleinen Hoffnungsschimmer, er ist der, der entkommen wird, nicht alle werden gefaßt. Langsam läßt er den Gedanken an sich heran, der ist zerbrechlich, er hat Angst, ihn zu verlieren, er konzentriert sich, öffnet die Augen wieder, schaut die Tapete an. Lilien, Streifen. Er hält das Geld an seine Nase und riecht daran. Noch nie hat der Geruch von trockenem Papier ihn so selig gemacht. Er setzt sich langsam auf, setzt sich auf die Bettkante, öffnet den Vorhang und schaut hinaus. Er braucht etwas Alltägliches, damit seine Augen sich erholen können, muß sich vergewissern, daß die Straße draußen dieselbe ist wie immer. Es schneit jetzt endlich nicht mehr, und am Straßenrand stehen Autos. Er sieht sie sich genau an, sein Gesicht ist verzerrt vor Anstrengung: ein Mercedes, ein Opel, ein Ford. Besser, ich behalte sie im Auge, denkt er, die Autos da draußen, ob sie mich beobachten? Warum sollten sie mich beobachten? Niemand weiß, daß ich in Harriets Haus war. Wieder stellt er die Füße auf den Boden, rafft all seinen Willen zusammen und geht langsam durch das Zimmer. Es sind nur wenige Schritte bis zum Badezimmer, dort will er unter dem heißen Wasser Schutz suchen. Seinen erstarrten Körper auftauen, wieder weich und geschmeidig werden. Er legt das Geld auf den Küchentisch. Wieder kommt alles in ihm zum Stillstand, er schaut über seine Schulter, aber niemand sitzt im Wohnzimmer und sieht ihn an, er hört nur seinen eigenen Atem. Er zieht die Unterhose aus, ein wenig ungeschickter als sonst, immer wieder droht er, das Gleichgewicht zu verlieren. Er denkt, ganz locker jetzt, geh unter die Dusche, Charlo. Es gibt keinen Grund zur Panik. Sicher ist sie noch nicht gefunden worden, die Leute in der Fredboes gate leben ihr eigenes Leben, sie gehen wie immer zur Arbeit, diejenigen, die eine Arbeit haben, die sich nicht so in Schwierigkeiten gebracht haben wie ich.
    Natürlich ist sie gefunden worden, sagt eine innere Stimme.
    Nein, es ist zu früh, es ist doch erst neun.
    Jemand kann sie schon früh besucht haben. Wahrscheinlich ist schon der Teufel los.
    Mach mir keinen Streß, das kommt noch früh genug. Ich versuche, Ruhe zu bewahren.
    Du hast keine Ruhe verdient. Nie mehr in diesem Leben wirst du deine Ruhe haben. Jede Minute des Tages wird das hier dich quälen und peinigen, und an dem Tag, an dem du sterben mußt, wirst du nicht wagen loszulassen, denn dann geht dein Weg geradewegs in die Hölle.
    Er drängt die Stimmen beiseite. Er tritt vor den Spiegel, will nicht und ist zugleich neugierig. Vielleicht sind seine Pupillen wieder rund, vielleicht war das andere nur eine Einbildung. Nein, sie sind noch immer länglich, findet er. Er dreht die Hähne auf und steht lange unter dem heißen Wasser. Einfach nur duschen, denkt er, entspannen, vergessen. Er lehnt sich gegen die Wand, spürt, wie das Wasser strömt. Er muß ganz und gar sauber werden, er hat das Gefühl, bis zum Abend hier stehen und alles von sich abspülen zu können. Alles, was gewesen ist, alles, was kommen wird. Er starrt an sich hinunter. Es ist derselbe Körper wie immer, mit Bauch und ziemlich kräftigen Oberschenkeln, seine Haut ist von Mangel an Sonne ganz weiß. Sein Brustkasten ist kräftig und hat einen leichten Ansatz von Busen. Plötzlich schwankt er heftig und muß sich an der Wand abstützen. Lehnt an den feuchten Fliesen, legt die Hand aufs Herz. Er hat das Gefühl, daß vor seinen Augen alles flimmert. Kann es denn möglich sein, daß ich dort draußen war, oder ist das alles nur eine schlimme Phantasie? Der

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