Der Mord zum Sonnntag
Großmutter auch immer getan. Wenn Sie das begriffen
haben, nicken Sie.»
«Immer mit der Ruhe», mahnte Craig leise.
«Mir wird sehr viel ruhiger zumute sein, wenn Henry
und ich ein paar grundsätzliche Dinge geklärt haben.»
Er spürte, wie seine Hand das Glas umklammerte. Er
geriet immer mehr durcheinander, das merkte er genau. In
all den Monaten seit dem Anklagebeschluß hatte er sich
sein seelisches Gleichgewicht bewahrt, indem er in seinem
Haus in Maui Analysen über die Expansion der Städte und
die Entwicklung der Einwohnerzahlen ausarbeitete,
Hotels, Sportplätze und Einkaufszentren entwarf, die er
bauen wollte, wenn das Ganze vorüber war. Irgendwie
hatte er sich eingeredet, daß etwas geschehen, daß
Elizabeth ihre irrige Aussage über den Zeitpunkt des
Telefonanrufs erkennen und widerrufen, daß die
sogenannte Augenzeugin wegen ihres labilen
Geisteszustands abgelehnt würde …
Elizabeth blieb unerschütterlich bei ihrer Darstellung,
die Augenzeugin rückte keinen Zentimeter von ihrer
Aussage ab, und der Prozeß nahte drohend. Die
Erkenntnis, daß sein erster Anwalt im Grunde genommen
mit seiner Verurteilung rechnete, hatte Ted einen Schock
versetzt und ihn veranlaßt, Henry Bartlett zu engagieren.
«Na schön, vergessen wir das vorläufig», sagte Henry
Bartlett steif. Und zu Craig gewandt: «Wenn Ted keinen
Drink will, ich hätte gern einen.»
Ted nahm das Bier, das Craig ihm hinhielt, und starrte
aus dem Fenster. Hatte Bartlett recht? War es Unsinn,
hierherzukommen, anstatt die Arbeit von Connecticut oder
von New York aus zu erledigen? Doch der Aufenthalt in
Cypress Point gab ihm jedesmal irgendwie das Gefühl von
Ruhe, von Wohlbefinden. Das lag an den vielen Sommern,
die er als Kind auf der Monterey-Halbinsel verbracht
hatte.
Der Wagen hielt an der Schranke vor Pebble Beach, und
der Chauffeur bezahlte die Straßengebühr. Die
Prachtvillen mit Aussieht auf den Ozean kamen ins
Blickfeld. Früher hatte er einmal geplant, sich hier ein
Haus zu kaufen. Er und Kathy fanden die Gegend ideal für
Teddy, der hier seine Ferien verbringen sollte. Und dann
waren Teddy und Kathy tot.
Auf der linken Seite schimmerte der Pazifik wunderbar
klar in der strahlenden Nachmittagssonne. Hier zu
schwimmen war bei der starken Strömung riskant, aber es
müßte köstlich sein, hineinzutauchen und sich vom
Salzwasser umspülen zu lassen! Ob er sich wohl jemals
wieder sauber fühlen, ob er jemals diese Bilder von Leilas
zerschmetterter Leiche vergessen würde? In seinen
Gedanken waren sie ständig da, gigantisch vergrößert, wie
Plakatwände am Highway. Und in diesen letzten paar
Monaten hatten die Zweifel begonnen.
«Egal, was du eben gedacht hast, hör auf damit, Ted»,
sagte Craig behutsam.
«Und du hör auf damit, in meinen Gedanken lesen zu
wollen», herrschte Ted ihn an. Dann brachte er ein
schwaches Lächeln zustande. «Entschuldige.»
«Schon vergessen.» Es klang aufrichtig und herzlich.
Craig hat sich von jeher darauf verstanden, eine
Situation zu entschärfen, dachte Ted. Sie hatten sich im
ersten Semester in Dartmouth kennengelernt. Craig war
damals ein stämmiger Bursche gewesen. Mit siebzehn sah
er aus wie ein blonder schwedischer Hüne. Mit
vierunddreißig war er tipptopp durchtrainiert, straff,
muskulös, keine Spur mehr von vierschrötig. Die
kräftigen, groben Züge standen einem reifen Mann besser
zu Gesicht als einem Halbwüchsigen. Auf dem College
hatte Craig ein Teilstipendium gehabt, sich aber auf jeden
Job gestürzt, den er ergattern konnte – als Tellerwäscher in
der Küche, als Zimmerkellner in der Hanover Inn, als
Krankenpfleger im Hospital auf dem Campus.
Und dabei war er stets für mich da, erinnerte sich Ted.
Nach dem College war er Craig zu seiner Überraschung
im Waschraum der Chefetage von Winters Enterprise in
die Arme gelaufen. «Warum hast du dich nicht an mich
gewandt, wenn du hier ’nen Job wolltest?» Ihm war nicht
recht klar, ob er sich über die Begegnung freute.
«Wenn ich was tauge, schaff ich’s auch aus eigener
Kraft.»
Dagegen ließ sich nichts sagen. Und er hatte es
geschafft, bis zum geschäftsführenden Vizepräsidenten.
Wenn ich ins Gefängnis gehe, dachte Ted, wird er den
Laden leiten. Ich wüßte gern, wie oft er mit diesem
Gedanken spielt. Er schüttelte sich, angewidert von seinen
eigenen Gedankengängen. Ich leide ja unter
Verfolgungswahn wie einer, der auf verlorenem Posten
steht. Ich stehe auf verlorenem
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