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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Weg zeigen und ihm beibringen, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Er wird zum Militär gehen. Offizier werden. Unter Leute kommen und es lernen. Ich mußte nur warten, bis das Jahr vorbei war. Er hatte es selber versprochen. Er hatte selbst um Aufschub bis zum Ende des Jahres gebeten.
    Ganz allmählich nahm mir meine Schwiegermutter unter dem Vorwand, ich sei kindisch, unreif und unbeholfen und wegen tausend anderer Fehler, die sie mir vorhielt, die Zügel aus der Hand, und ich verwandelte mich in ein hilfloses Wesen, das nicht einmal über sein eigenes Kind verfügen konnte. Im zweiten Jahr nahm sie nach dem Neujahrsfest, das ebenfalls still und trostlos verlaufen war, das Kind zu sich. Tag und Nacht ließ sie es in Hof, Küche und anderswo hinter sich her laufen. Damals gab es keine Schnuller, für Babys stellte man Lutscher aus Zucker und Stoff her. Meine Schwiegermutter wickelte ein wenig Würfelzucker oder Kandis in einen sauberen Lappen, verknotete ihn und schob ihn meinem Sohn in den Mund. Zuvor nahm sie ihn jedoch in den eigenen Mund, um ihn anzufeuchten, damit sich das Kind schneller beruhigte und aufhörte zu weinen.
    Ich sagte, »O weh, Chanum, er ist ein zartes Kind. Stecken Sie den Lutscher um Gottes willen nicht in Ihren Mund.« Oder ich sagte, »Chanum, lassen Sie das Kind nicht so viel im Hof herumlaufen, es wird sich erkälten. Lassen Sie mich ihm seinen Rotz abwischen, das ist nicht gut. Er wischt ihn sich mit seinem Handrücken ab. Das gehört sich nicht.«
    Sie hob eine Braue und sagte, »Pah! Als hätte ich kein Kind großgezogen? Das Kind soll von meiner Spucke krank werden? Weshalb ist dann sein Vater nicht krank geworden? Mashallah, ein Baum von einem Mann! Ein Kind muß rennen und spielen. Hinfallen, um groß zu werden.« Oder sie sagte, »Sein Papa war als Kind im Haus nicht zu bändigen. Ständig lief er auf die Gasse, um mit Lehmzu spielen. Und jetzt ist er, wie du siehst, so kräftig wie Rostam , tausendmal mashallah. Der Anblick seiner stattlichen Gestalt ist ein Genuß.« Oder sie antwortete grollend, »Und wenn ihm der Rotz läuft, soll er doch! Ich kann dem Kind doch nicht alle Augenblicke den Rotz abwischen. Ich hab tausend Dinge zu tun! Als wären Brautwerber gekommen, vor uns selbst brauchen wir uns doch deshalb nicht zu schämen!«
    »Es geht nicht ums Schämen. Ein Kind muß sauber sein, damit es nicht krank wird. Damit man ihm ins Gesicht sehen kann. Es widerstrebt einem…«
    Sie schnitt mir das Wort ab, »Hab keine Angst, Liebste. Sie werden ihm nicht nur ins Gesicht sehen, sondern ihn auch noch bewundern. Ich geb dir mein Wort, daß sie ihn auch mit dieser laufenden Nase begehren werden. Ist denn sein Vater schlecht gelungen? Ich schwöre dir, daß die Aristokratentöchter ihn nicht in Ruhe lassen werden. Sie werden ihm schmeicheln und ihn anbeten.«
    Ich begriff sehr wohl, was sie meinte. Ich registrierte ihre spitze Bemerkung und hätte ihr gern eine Abfuhr erteilt, wußte jedoch nicht, was ich sagen sollte. Ich fürchtete mich vor Krach und Auseinandersetzung. Befürchtete, daß Rahim verärgert sein würde. Fürchtete mich vor dem Ausgang der Angelegenheit. Ich, die ich mich nicht einmal den ehernen Schicksalsgesetzen fügte, hatte jetzt Respekt vor dieser alten Frau. Ich preßte die Lippen aufeinander und ging in mein Zimmer.
    Allmählich fing mein Sohn an zu sprechen, und die ersten Worte, die er lernte, waren die Flüche und derben Ausdrücke, die seine Großmutter im Spaß oder im Ernst von sich gab. Die alte Frau nahm ihn gegen meinen Willen zum Gemüseladen, Lebensmittelgeschäft und zur Metzgerei mit. Sie legte sich mit den Händlern des Viertels an und beschimpfte sie. Mein Sohn lernte diese Worte in Windeseile. Abgesehen davon, waren die Bemerkungen und Witze meiner Schwiegermutter stets mit Flüchen und Kraftausdrücken gespickt. Worte wie Nichtsnutz, Lump und Bastard gingen ihr mühelos über die Lippen. Wenn mein Sohn etwas verlangte, das ich ihm nicht geben wollte, sparte er nicht mit solchen Ausdrücken. Sein Vater war von diesen Worten, die aus dem kindlichen Mund niedlich klangen, entzückt und sagte, »Sag es, Almass. Sag’s, damit ich es dir gebe.« Und das Kind wiederholteund bekam etwas Eßbares zur Belohnung. Mutter und Sohn kugelten sich vor Lachen.
    Ich sagte erzürnt, »Liebstes, diese Worte sind schlecht. Daß du sie mir ja nicht mehr verwendest. Wenn du noch einmal schlechte Worte verwendest, setzt es Prügel.«
    Er streckte seine Zunge

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