Der Morgen der Trunkenheit
heraus, wackelte mit den Hüften und verzog den Mund. Ich schlug ihm auf den Mund. Seine Großmutter zog ihn beschützend in ihre Arme, befeuchtete Kandis mit ihrem Mund und gab ihn ihm. Ich wußte, der Mund, auf den ich schlagen mußte, war der Mund der alten Frau, aber mir blieb nichts anderes übrig. Stets mischten sich Rotz und Tränen meines Sohns. Einmal, zweimal, zig Mal säuberte ich ihn, doch erneut trieb er sich barfuß am Becken, an der Haustür, im Hof und in der Küche herum. Und wieder war alles wie zuvor. Die Hände rissig, die Knie schwarz vor Schmutz, und seine Tränen bildeten Furchen auf seinem verschmierten Gesicht. Was sollte ich tun, ich war in der Minderheit. Ich hatte keine Macht, weder über Rahim noch über seine Mutter. Ich sah, daß es keinen der beiden kümmerte, ob das, was mein Sohn tat, falsch oder richtig war. Alles an diesem Kind, sein Benehmen und seine Art des Sprechens erschien ihnen vollkommen normal und natürlich. Ich versuchte, ihm beizubringen, mich ›Chanum Jan‹ zu nennen, doch seine Großmutter sagte ständig, »Almass Jan, tu’s nicht, deine Nanneh wird dich schimpfen!« Offenbar tat sie es aus reiner Bosheit. »Almass Jan, laß mich den Reis aufsetzen. Heiß, du wirst dich verbrennen!… Geh zu deiner Nanneh .«
Barfuß watschelte er, wobei er sich mit den Händen an den Kanten festhielt, die Stufen der Küche hinauf und kam verdreckt und rußig zu mir. Nachts, wenn wir im Zimmer zusammensaßen, kam er, während Rahim Kalligraphie übte und ich stickte, an und sagte, » Nanneh , gib.«
Ich fuhr ihn an, »Hast du schon wieder › Nanneh ‹ gesagt? Sprich richtig, damit ich es dir gebe.«
Das arme Kind brach in Tränen aus. Meine Schwiegermutter verdrehte die Augen und sagte gequält, »Ach, was für Mätzchen! Das Kind geht auf sie zu, und sie quält es. Bringt es zum Weinen. Komm, mein Kind, komm in meine Arme.«
Das Kind schmollte und verzog sich in ihre Arme. Rahim sagte gelassen, »Das genügt. Du solltest es nicht übertreiben.« Und fuhr,an meinen Sohn gewandt, fort, »Nun gut, sie will, daß du sie Chanum Jan nennst. Sag ›Chanum Jan‹ und gib Ruhe. Was soll dieses › Nanneh , Nanneh ‹, Hundesohn!«
Es war eine seltsame Situation. Ich grämte mich, brachte jedoch kein Wort über die Lippen. Wer sollte dieses Kind erziehen? Wer sollte diese Mutter und diesen Sohn erziehen? Meine Bemühungen führten zu nichts. So sehr ich mich über ihr Verhalten wunderte, so sehr erstaunte sie meine Kritik. Wir sprachen nicht dieselbe Sprache.
Eines Nachts sagte Rahim zu seiner Mutter, » Nanneh , ich habe Lust auf Kalleh-Patcheh. Wollen wir es morgen essen?«
Seine Mutter sagte entzückt, »Ja, mein Sohn. Gib mir Geld, damit ich für dich einkaufe.«
Ich sagte, »Ach, Chanum, was für ein umständliches Essen! Die Zubereitung ist mühsam. Lassen Sie es lieber.«
Rahim sagte in primitivem Ton, der sich aus mir unerklärlichen Gründen von Tag zu Tag verstärkte, »Pah! Meine Nanneh kocht es doch nicht selbst. Morgen früh geht sie und kauft es im Basar.«
Der nächste Tag war ein Feiertag. Rahim wachte um neun Uhr auf. Meine Schwiegermutter war bereits frühmorgens fortgegangen und hatte das Kalleh-Patcheh an einem mir unbekannten Ort gekauft und in der Küche auf den Kohlen warmgestellt. Ich stand auf und holte zwei Porzellanschüsseln von meiner Aussteuer. Ich ging zur Küche, als ich sah, daß Rahims Mutter das Kalleh-Patcheh auf ein Messingtablett geschüttet hatte, es ächzend die Stufen herauftrug und auf dem Speisetuch neben dem Ssangak und dem sauer Eingelegten absetzte. Mit den Gefäßen in der Hand erstarrte ich. Ich sagte, »Chanum, ich war gerade dabei, die Schüsseln zu holen. Weshalb haben Sie es auf ein Messingtablett getan? Es gibt doch Schüsseln!« Rahim aß mit solch einem Heißhunger, daß er meine Worte gar nicht hörte. Seine Mutter nicht anders. Lachend setzte sie meinen Sohn neben sich und sagte, »Almass Jan, komm Kalleh-Patcheh essen, damit du stark und kräftig wirst. Schau, wie gut es schmeckt!«
Sie rollte ihm einen kleinen Happen in Brot und hielt ihn ihm vor den Mund. Das Kind weinte und schlug ihre Hand fort. Meine Schwiegermutter steckte sich den Happen in den Mund und sagte, »Dann iß es halt nicht, um so besser. Ich eß es selbst.«
Ruhig setzte ich mich hin und nahm meinen Sohn auf den Schoß. Ich wischte ihm Gesicht und Hände ab.
Mein Ehemann sagte, »Ißt du nicht, Mahbub?«
»Nein, ich hab keinen Appetit.«
Er lachte,
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