Der Morgen der Trunkenheit
Djan.«
»Weshalb sollte ich es sagen? Damit sie sich noch mehr aufregen?«
Ich wechselte das Thema, »Wie geht es Chodjasteh?«
»Du wirst es nicht glauben, sie ist prächtig gewachsen, mashallah. Ein Gesicht wie ein Gedicht. Sie übt Klavier und hat verschiedene Lehrerinnen. Malt wunderschön…«
Ich verstand nichts mehr. Ihre übrigen Worte bekam ich nicht mit. Ich hatte mich in mich zurückgezogen. In mein eigenes Leben. Als hätte ich keine Ahnung von der Welt. Von der schönen, fröhlichen und glanzvollen Welt, die ich verlassen hatte. Der ich den Rücken gekehrt hatte. Ich war hinter ihr zurückgeblieben. Nachdem die Amme gegangen war, fragte meine Schwiegermutter, »Was hat die Frau Amme gesagt?«
»Nichts. Wir haben nur über unsere eigenen Angelegenheiten gesprochen.«
Sie verzog gekränkt den Mund und sagte laut und grollend, während sie hin und her ging und die tägliche Arbeit verrichtete, »Hab ich etwa gesagt, ihr hättet über mich gesprochen? Bin ich etwa eine Fremde? Sag wenigstens, ob sie das Unterhaltsgeld mitgebracht hat! Hab ich etwa gesagt, du solltest es mir geben? Ich hab mich ja daran gewöhnt, kostenlos zu schuften. Hättet ihr euch eine Dienerin genommen, würde es euch ganz schön was kosten…«
Ich fragte mich, verlangt sie Geld von mir? Nein, wie argwöhnisch von mir. War es denn möglich, so gemein und so gierig zu sein? So materialistisch zu sein, daß man im Haus des Sohns und der Schwiegertochter lebte und Forderungen stellte? Daß man finanzielle Ansprüche erhob? Dennoch ging ich, nachdem die Amme das Geld am nächsten Monatsersten gebracht hatte und gegangen war, zu ihr und sagte, »Chanum, diese zwei Tuman sind für Sie. Kaufen Sie sich einen Tchador davon. Ich kenne ja nicht Ihren Geschmack.«
Sie zierte sich und sagte, »Ach, was sagen Sie da, ich erwarte doch nichts!« Und sie nahm das Geld und steckte es in den Ausschnitt ihres Kleids.
Ich erinnerte mich an die Prinzessin, die für ihren Sohn um meine Hand angehalten hatte. An ihre Fingerringe, ihr gemessenes und würdevolles Verhalten. Sie war wirklich eine vollendete Dame. Ich sagte, »Ich weiß, daß Sie nichts erwarten, Chanum. Ich möchte es Ihnen schenken.«
Rahim kam und fragte, »Da fehlt etwas Geld. Du hast doch nicht etwa der Amme wieder etwas gegeben?« Und er lachte in einer Art und Weise, die mir geziert erschien.
Ich sagte, »Nein, ich hab es deiner Mutter gegeben.«
»Aus welchem Anlaß?«
»Sag ihr um Gottes willen nichts, Rahim. Schließlich müht sie sich in unserem Haus ab. Kümmert sich um das Kind und kocht das Essen. Sag um Gottes willen nichts, das gehört sich nicht.«
Ich erinnerte mich an das Lächeln von Ata od-Doules Sohn. Wie er gesagt hatte, ›Es scheint, als sei sie außerdem eine verspielte Katze.‹ Ich hörte Rahim sagen, »Na und, soll sie doch. Es ist ihre Pflicht. Sollte sie etwa herumsitzen und sich von uns bedienen lassen? Freie Kost und Logis. Sie müßte außer sich sein vor Freude, daß sie im Alter nicht mehr als Band-andaz arbeiten muß.«
Mir sank das Herz in die Knie. Ich hatte erfahren, was ich nicht wissen wollte. Band-andaz ? Rahim hatte offensichtlich nicht mitbekommen, wie elend ich mich fühlte. Sein Verhalten glich dem seiner Mutter. Aber es war nicht seine Schuld, schließlich hatte sie ihn großgezogen. Ich spürte, daß ich in einen Sumpf geraten war, in dem ich immer tiefer sank. Rahim setzte sich an den Korsi, aß sein Mittagessen und lehnte sich zurück. Dann stand er auf und ging zu seinem Laden.
Ich war empört. Jetzt begriff ich den Grund für dieses ungebührliche Verhalten, diese Gemeinheit und diese Geldgier… Wieder tröstete ich mich. Hör auf damit, Mahbube. Du hast es so gewollt. Was geht dich seine Mutter an? Ist denn deine eigene Tante, die niemanden eines Blicks würdigt, nicht ebenfalls geldgierig? Hat sie deine Mutter etwa nicht gequält? Ist sie etwa weniger hinterlistig? Doch wußte ich selbst sehr wohl, daß die beiden sich unterschieden wie Tag und Nacht. Meine Tante Keshwar war nach Art mancherbösartiger alter Frauen gierig und kleinlich. Dennoch war ihr Benehmen stets von Würde und Selbstbeherrschung geprägt. Sie war nicht so würdelos und schäbig wie meine Schwiegermutter. Aber schließlich war es meine Schwiegermutter, und ich mußte sie ertragen. Ich hatte es so gewollt. Die Suppe hatte ich mir selbst eingebrockt. Es wird sich schon wieder einrenken. Ich werde Rahim erziehen. Ihm allmählich die Augen öffnen. Ihm den
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