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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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verlieben? Eine Stunde verging. Ich stützte meinen Kopf in die Hände. Weder dämmerte es, nochkehrte Rahim zurück. Ich streckte mich neben meinem Sohn aus. Mitten im Zimmer starrte ich mit geöffneten Augen auf den Ausschnitt des Fensters, der neben der Gardine zu sehen war. Ich starrte den Himmel solange an, bis er ergraute. Die Tür klickte… Ich schloß meine Augen. Rahim kam herein und streckte sich behutsam neben mir aus.
    Am Morgen war mir elend zumute. Ich hatte Kopfschmerzen. Ich ging in die Küche und beschäftigte mich, indem ich meiner Schwiegermutter half. Ich wollte dieser nichtswürdigen Frau nicht ins Gesicht sehen. Wollte nichts von Rahim und seiner Familie sehen.
    Rahim, der nicht zur Arbeit gegangen war, kam meine Abwesenheit im Zimmer nicht ungelegen. Er kam und ging und schwatzte in einem fort. Ich hörte seine Gespräche und sein Lachen mit dieser Frau, ihrem Vater und Bruder. Sie frühstückten und gingen nicht fort. Weshalb gingen sie denn nicht? Ich kochte vor Wut. Es wurde Mittagszeit. Meine Schwiegermutter sagte, »Geh du ins Zimmer. Es gehört sich nicht, es würde sie kränken. Ich werde das Mittagessen auftischen.«
    »Nein, Chanum. Gehen Sie. Ich bleibe hier.«
    Plötzlich legte sie die Kelle hin, stemmte die Hände in die Hüfte und sagte, »Was hast du, Mahbube? Warum bist du wieder mißmutig? Etwa deshalb, weil mein armer Cousin für eine Nacht zu uns gekommen ist?«
    Ich sagte, »Lassen Sie mich in Ruhe, Chanum. Ich hab wirklich keine Lust! Fangen Sie nicht auch noch an, mich zu ärgern. Ich hab schon Kummer genug…«
    Sie öffnete den Mund und sagte, »Pah! Du hast Kummer? Was ist denn passiert, daß du…«
    Ich kehrte ihr den Rücken und stieg die Stufen hinauf. Ich stampfte mit den Füßen auf. Oben, am Ende der Treppe, begegnete ich Rahim im Hof. Leise und hastig sagte er, »Hör mal, Mahbube, daß du sie mir heute abend ja nicht fortgehen läßt! Besteh darauf, daß sie bleiben. Wenn du es nicht sagst, werden sie nicht dableiben.«
    Dieser Mann hatte die Stirn – schämte er sich nicht? Ich wollte sagen, ›Zur Hölle damit, daß sie nicht dableiben. Sollen sie sich zum Teufel scheren!‹ Doch wenn ich das sagte, müßte ich erklären, weshalbich nicht wollte, daß sie dablieben. Dann würde sich Rahim noch mehr herausnehmen. Dann wäre die Schamgrenze überschritten. Aber vielleicht irrte ich mich ja… vielleicht… vielleicht. Ich preßte die Lippen zusammen. Ich blickte ihn scharf an und entfernte mich.
    Es war nicht nötig, sie zu bitten, dazubleiben. Sie blieben ungebeten da.
    An diesem Abend war Koukab noch dreister geworden. Sie sagte zu meiner Schwiegermutter, »Heute abend bin ich an der Reihe. Sie haben gekocht, und ich werde das Geschirr abräumen und abwaschen.«
    Meine Schwiegermutter wandte sich an mich und sagte, »Sieh, was für eine gute Hausfrau sie ist. Flink und gewandt, mashallah.«
    Ihr spitze Zunge war giftgetränkt. Rahim sagte, »Dann werde ich dir dabei helfen.«
    Sie trugen das Geschirr stapelweise zusammen hinaus, und es dauerte länger als nötig, bis sie zurückkehrten. Rahim erhitzt und Koukab still. Ich wollte aufstehen und sagen, daß ich es selber tun würde, aber ich hatte keine Kraft. Meine Fußsohlen waren erfroren, wie zwei Eisblöcke. Meine Schwiegermutter bemerkte es nicht oder ließ es sich nicht anmerken. Der Cousin rauchte Wasserpfeife. Er trank Tee und klagte über die Gier und Verfressenheit seiner Ssigheh-Frauen und über die Krankheit der schlauesten von ihnen. Sein stumpfsinniger Sohn, den scheinbar nichts berührte, hatte seine Füße mit den übelriechenden Socken erneut ausgestreckt und döste genußvoll vor sich hin. Wieder wurde es Schlafenszeit. Ich stellte mich schlafend, und Rahim tat dasselbe. Ich hatte den Eindruck, daß er sich an diesem Abend nicht sonderlich sorgte, ob ich noch wach war. Da er sich noch vor Ablauf der Zeit, die ich zum Einschlafen brauchte, und auf die Gefahr hin, daß ich noch wach war, behutsam von seinem Lager erhob. Er zögerte ein wenig. Erneut das Klicken der Tür. Erneut das Geräusch der sich schließenden Tür, und erneut meine Qualen, die entsetzlicher waren als Todesqualen. Unbeschreiblich. Erneut stieg mir das Blut zu Kopf. Meine Atemzüge verlangsamten sich. Ich rang nach Luft. Erneut setzte ich mich auf und preßte meinen Kopf zwischen den Händen. Erneut sah ich alles um mich finster. Ich holte tief Luft. O Gott, errette mich. Ach, was hatte ich nur verbrochen! Was hatte ich nur

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