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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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keinen Kummer? Sagt sie nichts dazu?« fragte ich.
    Sie fuhr mich an, »Weshalb sollte sie bedrückt sein? Sie hat alles, was sie braucht. Sie ist und bleibt die Hauptfrau. Diese beiden Kinder hat sie von ihm. Was will sie mehr? Die Welt ist doch kein Schlaraffenland. Die Ssigheh-Frauen haben die Arbeit, und sie hat das Vergnügen. Es heißt, er hätte bisher keine einzige Nacht im Haus der Ssigheh-Frauen verbracht. Sein richtiges Zuhause ist in Varamin. Die Ssigheh-Frauen sorgen für das Einkommen und daß die Geschäfte laufen.«
    Ich wußte, weshalb er sich Frauen in Zeitehe genommen hatte. Im Basar der Konfektionsverkäufer, in dem man Kleider aus preiswertem Stoff nähte oder gebrauchte Kleider flickte, ausbesserte und verkaufte, waren günstige oder kostenlose Arbeiterinnen Gold wert. Dieser ungehobelte Kerl hatte schlauerweise bedürftige Frauen in Zeitehe genommen und für sich eingespannt. Aus Rivalität und um die Aufmerksamkeit ihres Ehemanns zu ergattern, schufteten sie Tag und Nacht und übergaben ihm die Erzeugnisse ihrer Arbeit, damit er sie verkaufte, und waren es zufrieden, im Gegenzug etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie waren froh, unter dem Schutz eines Ehemanns zu stehen. Haßerfüllt richtete ich das Tablett mit dem Abendessen her.
    Meine Schwiegermutter sagte bedächtig und gemessen, »Weißt du was? Denk nicht, daß ich als Gekränkte zu ihnen gegangen bin – natürlich habe ich ihnen nicht erzählt, daß das der Grund war. Ich sagte, ›Ich wollte euch einen Besuch abstatten.‹ Jetzt denken sie, daß ich beleidigt wäre, wenn sie mir keinen Gegenbesuch abstatteten. Nun gut, sie haben ja recht. Der Cousin ist ein sehr höflicher Mann. Die Ärmsten haben sich soviel Mühe gegeben. Sie sind sehr anständig. Sieh nur, sie haben Eier, Brot und Joghurt mitgebracht.«
    Den Joghurt konnte man nicht essen, so sauer war er. Die Brote waren alt und dick. Ich weiß nicht weshalb, doch taten mir die Ssigheh-Frauen leid. Meiner Meinung nach war dieser Mann ein Schmarotzer. Doch meine Schwiegermutter pries ihn in einem fort und steckte sich Brotstücke in den Mund. Es schien, als schmeckte es ihrtatsächlich. Sie sagte, »Morgen werde ich Almass ein Ei geben, damit er stark und kräftig wird.«
    Wir saßen im Zimmer. Meine Schwiegermutter schenkte den Tee ein, und der Cousin, ein älterer Mann, rauchte in einem fort Wasserpfeife. Der Gestank ihres Fußschweißes und ihrer verdreckten Kleidung raubte mir den Atem. Behutsam ging ich ins Schlafzimmer, schloß die Tür zwischen den Zimmern, öffnete das Fenster und atmete tief ein. Dann kehrte ich ins Zimmer zurück. Ich sah, wie der Cousin, dieser ungehobelte Kerl, sich an die Zimmerwand gelehnt hatte, an der Wasserpfeife zog und mit meiner Schwiegermutter in ein Gespräch vertieft war. Ich sah, wie sein Sohn die Beine wie ein Hinterwäldler mitten ins Zimmer hinein ausgestreckt hatte und wie ein Opiumsüchtiger ein Nickerchen machte. Ich sah, wie mein Ehemann in den Anblick der Tochter versunken war. Die Cousine zierte sich und kokettierte. Ich ließ es mir nicht anmerken. Ich sagte mir, ›Du irrst dich.‹ Sagte mir, ›Wer sind die schon?‹ Und zu ihr sagte ich, »Bitte, nehmen Sie vom Tee, Chanum.«
    Rahim sagte mir in bedeutungsvollem Ton, »Sie heißt Koukab. Nenn sie ›Koukab Djan‹.«
    Offenbar nannte er sie selber Koukab Djan. Er sagte es der Tür, damit es die Wand hörte, und die bedauernswerte Tür zerbrach vor verletztem Stolz. Das Herz brach ihr. Sie zürnte und sagte sich doch, ›Du phantasierst.‹ Koukab hielt den Zipfel ihres Tchadors so, daß ihre Vorderseite Rahim und mir zugewandt war und die Rückseite ihrem Bruder und Vater. Als verhüllte sie sich vor ihnen. Sie starrte in Rahims Augen und sagte leise, »Agha Rahim, mashallah ist alles an Ihnen tadellos. Auch Ihr Geschmack ist tadellos. Was für eine reizende Frau Sie haben!«
    »Nicht so reizend wie Sie.«
    Ich kochte. Es heißt, daß einem das Blut vor Wut in den Kopf schießt. Bestimmt war mir das Blut zu Kopf gestiegen, denn ich sah nichts. Als blickte ich durch einen brennenden Vorhang. Vor meinen Augen schäkerten sie miteinander. Sie benutzten mich als Vorwand zum Schäkern, und es schien, als würden weder ihr Bruder und Vater noch meine Schwiegermutter es sehen. Sie waren in Gespräche über eine Welt vertieft, die mir fremd war. Dinge, die nicht einen roten Heller wert waren. Über die Marktpreise im Basar, den Hexenschuß von Koukabs Mutter, die

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