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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Zimmer, bis ich ihn auf Sie vorbereitet habe.«
    Ich rannte ins Zimmer und spähte durch den Vorhang. Esmat Chanum öffnete die Tür. Zunächst sah ich meinen Vater eintreten und danach Hadi, doch für den hatte ich keine Augen mehr. Ich wollte nicht, daß mich mein Vater in diesem Zustand sähe. Statt der verwöhnten, munteren Tochter, die wie ein Rebhuhn umherstolzierte und deren Augen vor Stolz funkelten, eine geschlagene und gedemütigte Frau. Mein Vater rief, kaum daß er eingetreten war, »Hassan Chan.«
    Doch es war nicht nötig, ihn zu rufen. Hassan Chan ging auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. Mein Vater unterhielt sich mit ihnen. Ich sah sein Gesicht durch das Fenster. Sein Haar war über den Ohren ergraut. Sein Gesicht war schmaler geworden und wirkte reifer. SeinSchnurrbart war von weißen Strähnen durchzogen. Er war schmaler geworden und wirkte noch liebevoller und sanftmütiger. Dennoch war sein Gesichtsausdruck finster und mürrisch, jedoch besorgt. Während sie sich flüsternd unterhielten, nahm seine Besorgtheit von Minute zu Minute zu. Seine Kleidung war wie gewöhnlich sauber, gebügelt und akkurat. Ich sah die goldene Uhrkette auf seiner Weste. Die linke Hand hatte er in die Westentasche gesteckt und hielt sich mit der Rechten das Kinn. Sein Blick, der Verstehen und Erstaunen verriet, war eindringlich auf Hassan Chan gerichtet und schweifte gelegentlich zu Esmat Chanum ab, die ihrem Bruder ab und zu ins Wort fiel. Dann herrschte eine Weile Schweigen. Schließlich holte mein Vater tief Luft und stellte eine Frage. Hassan Chan, der mir den Rücken zugewandt hatte, wies mit dem Daumen auf das Wohnzimmer hinter sich. Die Sonne war am Untergehen. Mein Vater eilte zwei Schritte auf das Zimmer zu und blieb dann stehen. Offenbar fühlte er sich nicht sehr viel wohler als ich. Er rief, »Mahbube!« Tränen stiegen mir in die Augen. Er trat einen weiteren Schritt vor, »Weshalb kommst du denn nicht heraus?« Seine Stimme klang ruhig und bedrückt.
    Ich senkte den Kopf, öffnete die Tür und lehnte mich an den rechten Türflügel. Ich stand im Profil da. Die linke unversehrte Hälfte meines Gesichts war auf den Hof gerichtet. Ich hielt den Kopf gesenkt, und meine Haare bedeckten mein Gesicht auf beiden Seiten. Ich hatte die Fäuste geballt, um nicht zu weinen. Leise sagte ich, »Salaam.«
    Zu meiner Überraschung stellte ich fest, daß er meine Stimme gehört hatte und »Salaam« erwiderte. Er trat näher und stellte sich vor mich hin. Die lädierte Hälfte meines Gesicht war durch die Haare verdeckt und dem Wohnzimmer zugewandt. Mein Vater versuchte, mein Gesicht zu sehen. Er wollte nach so vielen Jahren das Gesicht seiner Tochter sehen, und ich hatte Angst, es ihm zu zeigen. Mein Blick war auf die Spitzen seiner schwarzen, glänzenden Schuhe gerichtet. Leise fragte er, »Hast du Schiffbruch erlitten?«
    Ich sagte, »Rügen Sie mich nicht, Agha Djan.« Und meine Tränen tropften zwischen unsere Füße auf den Boden. Mein Lebtag hatte ich nicht so große Tropfen gesehen.
    Er sagte, »Nein, ich rüge dich nicht. Es war richtig, daß du gekommen bist. Wann immer man weiterem Schaden vorbeugt, ist esvon Nutzen.« Seine Stimme zitterte. Er verstummte und holte tief Luft. Dann faßte er sich und sagte, »Heb deinen Kopf. Sieh mich an, damit ich es sehe.«
    Ich rührte mich nicht.
    »Bist du mir böse?«
    Ich schüttelte verneinend den Kopf.
    »Weshalb willst du mir dann nicht ins Gesicht sehen?«
    Tränenerstickt sagte ich, »Ich will schon…«, und hob dann langsam den Kopf.
    Meine Augen waren voller Tränen. Zunächst zeigte er keine Reaktion, nur seine Augen hatten sich vor Erstaunen geweitet. Er sah mich genauer an. Als hätte man ihm statt seiner Tochter eine andere untergeschoben. Hassan Chan und seine Schwester betrachteten uns beide voller Bedauern und Mitleid. Plötzlich kam mein Vater wieder zu sich. Er fuhr sich mit den Fingern seiner linken Hand durchs Haar, warf zornig den Kopf zurück und sagte, »Weh…«. Dann verstummte er. Er nahm die Hand vom Kopf und sah mich an. Er sagte, als spräche er zu sich, »Sieh nur, was er angerichtet hat!« Er fragte mich, obwohl er die Antwort bereits kannte, »Wer hat dich so übel zugerichtet?«
    »Rahim, Agha Djan, Rahim.« Ich begann zu schluchzen.
    Er begann wie ein eingesperrter Tiger auf und ab zu schreiten. Er ging nach links und nach rechts und kehrte wieder zurück zu mir.
    »Dein Ehemann hat dir das angetan? Ein Mann? Seiner rechtmäßigen Ehefrau?

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