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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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sicher zu gehen, daß das Mädchen uns gehört…«
    Chodjasteh verließ schamhaft das Zimmer. Meine Mutter sagte: »Aber, Schwesterchen, weshalb haben Sie es denn so eilig? Als wäre eine Witwe zu verheiraten, daß wir nur eine kleine Verlobung feiern. Wir haben Ihnen doch von Anfang an gesagt, das Mädchen gehört Ihnen. Aber es ist erst elf Jahre alt, sein Mund riecht noch nach Muttermilch.«
    »Das ist doch Unsinn, Nazanin. Ich selbst war neun, als man mich verheiratete. Und dann behauptest du, Chodjasteh wäre ein Kind? Nein, meine Liebe, ihr macht nur Ausflüchte.«
    »O weh, was soll das heißen, Schwesterchen? Welche Ausflüchte? Bei Ihrem Leben, ich wünsche es mir ebenfalls aus ganzem Herzen. Hamid ist mir wie ein eigener Sohn. Und Gott sei Dank hat er auch keine Fehler oder Gebrechen, so daß wir nach Ausflüchten suchen müßten. Nun, wenn es so steht, gut. Ich werde noch einmal mit ihrem Vater sprechen und Ihnen die Antwort überbringen.«
    Das war schon das soundsovielte Mal, daß die Tante um Chodjastehs Verlobung gebeten und daß meine Eltern gezögert hatten. Da ich noch nicht geheiratet hatte. Da Hamid seine Frau nach Gilan mitnehmen und dort mit ihr leben wollte. Da meine Mutter das Fernsein ihrer Töchter nicht ertrug.
    Als die Tante gegangen war, kam ich zu einem Entschluß. Stand auf und hüllte mich in den Tchador, um meine Schwester zu besuchen. Meine Mutter war mit Manuchehr und den täglichen Hauspflichten beschäftigt. Sie fragte, »Gehst du allein?«
    »Mit wem sollte ich denn gehen? Die Amme ist mit Manuchehr beschäftigt, und Dadde Chanum hat Fußschmerzen. Das Wetter ist gut. Ich will heute zu Fuß gehen.«
    »Kommst du abends zurück?«
    »Ja, ich komme zurück. Schwesterchen Nozhat wird mir schließlich jemanden mitgeben. Sie läßt mich doch nicht allein gehen.«
    »Du bist ja auch alle Nas lang im Haus deiner Schwester«, bemerkte meine Mutter.
    Im Nu erreichte ich die dritte Nebenstraße. Jetzt, da ich mich entschlossen hatte, fürchtete ich mich nicht mehr vor dem Verlust der Ehre. An diesem Tag jedoch war Rahims Meister, ein hinfälliger Alter, im Laden und sprach gerade mit ihm. Rahim erkannte mich am Zögern vor der Ladentür und geriet völlig durcheinander. Behutsam setzte ich mich wieder in Bewegung. Ich hörte seine Stimme, wie er den Schreinermeister höflich loszuwerden versuchte.
    »Geht in Ordnung, Sie können schon gehen. Morgen oder übermorgen mache ich es fertig und bringe es denen an die Haustür…« Anscheinend war der alte Mann stur und wollte nicht gehen. Seine Stimme war leise, und ich verstand nichts. Wieder sagte Rahim, »Jawohl, Hadji, wie Sie schon sagten. Geht in Ordnung. Bitte gehen Sie doch, damit ich meine Arbeit erledigen kann. Morgen nachmittag bringe ich es denen vor dem Ruf zum Abendgebet an die Haustür…«
    Ich ging ziellos am Trinkwasserhäuschen vorbei. Sehr langsam. Inzwischen traute ich mich nicht mehr, Kerzen anzuzünden, um Gott um Hilfe zu bitten. Um zu beten, daß meine Eltern einwilligten, unsere Angelegenheit schneller zum Abschluß zu bringen. Ich zögerte. Der ausgemergelte Alte stand noch immer im Laden. Ich ging weiter. Im Kräuterladen kaufte ich etwas Borretsch. Dann beschäftigte ich mich damit, die Stoffe des Textilgeschäfts neben dem Kräuterladen zu betrachten. Gesenkten Blicks sah ich endlich, wie der Alte ächzend aus der Schreinerei trat. Seelenruhig wedelte er mit seiner Pfeife herum und klopfte sie friedlich auf seinen Schalbund. Strich über die Fersen seiner Stoffschuhe und setzte sich schlurfend in Bewegung. Ich ging auf den Laden zu.
    »Ist er endlich gegangen?«
    Mit seinem üblichen schelmischen Lächeln sagte er, die Händeüber der Brust verschränkt und an den Tisch in der Ladenmitte angelehnt, »Salaam.«
    »Salaam.«
    Ohne ein Wort ging er nach hinten und nahm aus einer kleinen, aus der Lehmwand ausgesparten Nische etwas neben einer verräucherten Laterne weg und kam auf mich zu, »Das gehört Ihnen.«
    »Was ist es denn?«
    Ich streckte die Hand aus. Ein abgeschnittenes Haarbüschel, das mit einem Stück Zwirn zusammengebunden war, wurde mir in die Hand gelegt. Ich schlug den Gesichtsschleier hoch und lachte ihn an. Er lachte ebenfalls. »Ein grünes Blatt ist des Derwischs Gabe.« Verzaubert blickte ich ihn an. Ich wollte sprechen. Trat von einem Bein aufs andere, wußte aber nicht, was ich hätte sagen sollen. Als habe er begriffen, sagte er unvermittelt, »Wir wollen euch zur Brautwerbung besuchen.«
    Mir

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