Der Morgen der Trunkenheit
ihr zurechtkommen. Nun erzähl doch, was hat Mansur gesagt?«
Eftechar ol-moluk, die Frau meines Onkels väterlicherseits, war eine neidische und intrigante Frau mit einem Lästermaul, doch glücklicherweise hatte keines ihrer Kinder diese Eigenschaften von ihr geerbt. Denn Onkelchens sanftes Wesen, seine korrekte Erziehung und seine Weisheit hatten ihre Wirkung bei den Kindern nicht verfehlt. Mansur war sanfter, aufrichtiger und zugleich ernsthafter als die anderen und genoß bei allen in der Familie Respekt und Zuneigung. Speziell mein Vater, der bis vor kurzem keinen männlichen Nachkommen besessen hatte, liebte ihn wie seinen eigenen Sohn, und Mansur empfand für ihn ebenfalls besondere Zuneigung und Respekt.
Ich sagte: »Ich kümmere mich nicht darum; sie lassen mich nicht in Frieden. Onkelchen hat gesagt, Mansur sagt, ›Schon als ich zehn Jahre alt war, damals, als Mahbube noch ein Säugling war und ich mit ihr spielte, wünschte ich mir in meiner kindlichen Vorstellung, daß sie als Erwachsene meine Frau wird. Und jetzt ist sie doch erwachsen und verständig…‹«
Meine Schwester lachte laut auf, »Und du, Mahbube?… Seit wann hast du ein Auge auf ihn geworfen?«
Bekümmert und teilnahmslos antwortete ich, »Ich? Ich hab doch nichts zu melden. Sie sind es doch, die alles für mich einfädeln. Damals war es Ata od-Doules Sohn, und diesmal ist es Agha Mansur. Ich habe nie ein Auge auf ihn geworfen.«
Erstaunt und neckisch hob sie eine Braue und fragte lächelnd, »Auf wen dann?«
Nach diesem Scherz begann sie, an der Wasserpfeife zu ziehen, die ihr die Dienerin soeben gebracht hatte. Ich starrte auf ihre volle, fleischige Hand, die die silberne Pfeifenspitze fest umklammert hielt. Wie sorglos sie auf dem Sitzkissen saß und Wasserpfeife rauchte. Ich wartete, bis die Dienerin das Zimmer verlassen hatte, die Stufen zum Hof hinabgestiegen und in der Küche auf der linken Seite des Andaruni -Hofs verschwunden war.
Behutsam trat ich vom Fenster weg und sah auf die Zimmertür. Auf die paillettenbestickten Vorhänge, die vor der Eingangstür mit zwei breiten, fransenbesetzten Bändern zur Seite gezogen worden waren; auf die stuckverzierten Nischen und die Kaschmirdeckchen, die sie schmückten; die bunten Leuchter und die Petroleumlampen mit Runddocht und weißen oder farbigen Lichtschirmen, die auf das abendliche Anzünden warteten. Der Tisch in der Zimmerecke wurde von vier Stühlen aus Walnußholz eingefaßt. Der Raum war rundum mit Sitz- und perlenbestickten Rückenkissen ausgeschmückt und der Länge nach mit zwei großen dunkelroten Teppichen ausgelegt. All das gehörte zur Mitgift meiner Schwester. Nozhat war zweifellos eine glückliche Frau. Wie meine Mutter. Ich wußte, daß ihr Mann in sie verliebt war, verliebt in diese kindliche, üppige und schelmische Frau. In diese kluge, umsichtige und humorvolle Frau. Ich wußte, daß er Nozhat verwöhnte. Was Nozhat sich auch wünschte, es geschah. Sagte sie, stirb, war Nassir Chan bereit zu sterben. Doch Nozhat war auch klug. Sie war vernünftig und liebte ihren Ehemann auf ihre Weise ebenso sehr. Sie wußte, wann sie sich einschmeicheln und wie weit sie sich zieren konnte. Sie wußte, alles hatte seine Grenzen. Ich fragte mich, was für eine Liebe das wohl war? Wie mein Verliebtsein? Wenn es so war, dann hatte Nozhat Glück gehabt. Sie hatte sich in den Richtigen verliebt. Sie hatte den Passenden erwischt. Ganz langsam schritt ich vorwärts. Ich trug eines der Kleider, das die Schneiderin meiner Tante genäht hatte. Ich erinnere mich, daß es aus rosa Taft war. Und ich trugweiße Strümpfe, die aus Rußland kamen und die Mama immer für Chodjasteh und mich kaufte. Eine Haarlocke hatte ich mir mit Gummitragant mühsam auf die Stirn geklebt. Wie einen Skorpionstachel. Meine Schwester betrachtete mich, und ihr Blick triefte vor Bewunderung. Doch ich war zu bekümmert, als daß ich hätte lächeln können. Ich war im Begriff, zu stechen. Wie ein Skorpion. Ich kniete mich neben sie, spielte mit dem Ende meines Kleidergürtels herum. Ein Gürtel aus dem gleichen Stoff, aber in weiß. Meine Schwester fragte mit einem freundlichen Lächeln, »Mahbub Djan, warum hast du deinen Sherbet nicht getrunken?«
»Ich mag nicht, Schwesterchen.«
»Warum? Was für eine anspruchslose Braut!«
»Um Gottes willen, bitte sagen Sie das nicht, Schwesterchen. Mir gefällt es nicht.«
Meine Schwester fragte lachend, »Weshalb soll ich es nicht sagen? Genierst du dich? Wußte ich
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