Der Morgen der Trunkenheit
behüte, was für Beschwerden hat sie denn?«
»Sie hat sich nur etwas erkältet, nichts Schlimmes. Aber ich sorge mich um Manuchehr Djan. Wenn Sie erlauben, werde ich sie nachmittags mit Mahbube besuchen gehen. Wir werden auch Mahmuds Amme und das Kind mitnehmen. Vielleicht ist es nötig, daß sie ein, zwei Tage dort bleibt und Manuchehr stillt. Mama sollte ihn in diesem Zustand nicht stillen. Wenn nötig, werde ich Mahmud und seine Amme ein paar Tage dort bleiben lassen. Oder ich bringe Manuchehr mit hierher.«
»Selbstverständlich ist es besser, wenn Sie Ihr Brüderchen herbringen.«
Ich war verblüfft von der Geschicklichkeit meiner Schwester im Erfinden von Lügenmärchen. Während sie für meinen Trübsinn eine Ausrede vorbrachte, arbeitete ihr Gehirn fieberhaft. Nozhat wußte nur zu gut, falls Mama einen Schock erleiden würde, durfte sie Manuchehr nicht mehr stillen. Folglich mußte man zum Stillen eine Amme besorgen. Und das würde Verdacht erregen. Deshalb war der Vorwand der erkrankten Mutter und der Einsatz der Amme meines Neffen die beste Lösung. Meine Schwester sagte, »Sie haben recht, wir werden das Kind und die Amme nicht mitnehmen. Sie könnten sich bei Mama anstecken. Ich werde anordnen, daß unsereAmme Manuchehr herbringt. Sie werden ein paar Abende zusammensein.«
Sofort bemerkte ich, daß sie es vorzog, das Elternhaus zu räumen, damit mögliche Gerüchte nicht nach außen drangen. Flink und geschickt hatte Nozhat einen Plan entworfen und seine Durchführung vorbereitet.
Meine Mutter fragte erstaunt, »Nozhat, was ist passiert? Weshalb bist du mit Mahbube gekommen?« Sie befürchtete, es könnte zwischen ihr und ihrem Ehemann Streit gegeben haben.
Meine Schwester sagte lachend, »Chanum Djan, wenn es Sie stört, kehre ich um. Anscheinend haben Sie keine Lust, Gäste zu bewirten.«
»Du bist stets willkommen, mein Kind. Aber warum jetzt? Weshalb seid ihr so rasch nach dem Mittagessen aufgebrochen? Weshalb hast du das Kind nicht mitgebracht?«
Meine Schwester zwinkerte meiner Mutter, ohne daß es die Amme bemerkte, zu und sagte, »Als Mahbub Djan erzählte, daß Sie erkältet sind, machte ich mir Sorgen. Ich bin gekommen, um mich nach Ihrem Zustand zu erkundigen. Ich wollte nicht, daß sich das Kind bei Ihnen ansteckt. Der Agha meinte, ich sollte das Kind nicht mitnehmen. Schicken Sie doch Manuchehr mit der Amme zu uns. Unsere Kutsche wartet vor der Tür. Sie werden für ein, zwei Tage dort bleiben. Wenn es Ihnen besser geht, kehren die beiden zurück.«
Erneut zwinkerte sie meiner Mutter zu. Ich sah, daß Mutters Hand zitterte. Sie spürte, daß es sich um eine vertrauliche Angelegenheit handelte, wovon das Personal nichts erfahren durfte. Eines der Probleme der privilegierten Klasse war, daß es kein Privatleben gab. Vielleicht hatte die Amme beim Einhüllen Manuchehrs und während sie ihn, der, gesättigt von der Milch meiner Mutter, einen tiefen Nachmittagsschlaf hielt, auf den Arm genommen und in die Kutsche meiner Schwester eingestiegen war, Verdacht geschöpft; sie wußte jedoch nicht, worum es ging.
Kaum, daß die Amme gegangen war, stellten meine Mutter und meine Schwester, die appetitlos und widerwillig den Tee getrunken und vom Kuchen genommen hatten, die Teegläser auf den Boden und starrten einander an. Der Blick meiner Mutter war erstaunt undvoller Fragen. Meine Schwester horchte wie eine erfahrene Leiterin von Passionsspielen dem Geklapper und Getrappel der sich entfernenden Kutsche, um sich vor der Ausführung des nächsten Schnitts von der Leere und Stille des Hauses zu überzeugen.
Meine Mutter fragte rasch und etwas zornig, »Was ist passiert, Nozhat? Weshalb redest du Unfug? Ich hab doch nichts…«
Meine Schwester schnitt ihr das Wort ab und sagte zu mir, »Lauf und hol Dadde Chanum.« Es dauerte kaum zwei Minuten, bis Dadde Chanum erschien.
»Dadde Chanum, ich habe ein Gelübde abgelegt. Ich wollte zehn Kerzen in Shah Abdol-Azim anzünden. Selber kann ich nicht gehen, da ich mit dem Kind zu tun habe. Geh du mit Firuz Chan hin und zünde die Kerzen an. Und werft dieses Geld in den Schrein.« Und sie drückte Dadde Chanum das Geld in die Hand. »Der Rest ist für den Dampfzug.«
Dadde Chanum warf einen gierigen Blick auf das Geld und sagte schmeichlerisch, »Möge Gott Ihren Wunsch erfüllen, kleine Chanum. Möge er Ihnen Glück bescheren. Mögen Sie stets gesund und munter sein…« Sie zögerte etwas und fuhr dann fort, »Aber wollte der Agha denn heute abend
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