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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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los, »Schlag gefälligst deine schamlosen Augen nieder, ehrloses Mädchen. Hast du keinen Funken Ehre im Leib? Schämst du dich nicht?«
    Sie krallte sich an meinem Rock fest. Mit aller Kraft riß ich mich los und flüchtete. Ich hörte ihre Stimme, wie sie schrie, »Weh dir, wenn dein Herr Vater heute nacht käme, würden sie dich als Leiche aus dem Haus tragen.«
    Weinend stand ich neben der Tür, »Um so besser, dann hab ich meine Ruhe.«
    »Ich spucke auf dein schamloses Gesicht.«
    Nozhat schrie mich an, »Hör endlich auf, Mahbube, halt die Klappe. Geh raus.«
    Ich lief aus dem Zimmer und kauerte mich in die Ecke des Eiwans. Bis in die Nacht hinein pendelte meine bedauernswerte Schwester zwischen mir und meiner Mutter hin und her. Mal versuchte sie mich zu überreden, Vernunft anzunehmen, mal redete sie meiner Mutter gut zu.
    »Chanum Djan, hat sich etwa nur Mahbube verliebt? Es gibtdoch viele, die jemanden begehren, heiraten und glücklich leben bis an ihr Ende.«
    »Ja, sie begehren jemanden, aber nicht den Schreinerlehrling von der Straße. Nur über meine Leiche.«
    Meine jüngere Schwester Chodjasteh beobachtete uns derweil starr vor Erstaunen.
    Meine Mutter schrie, »Denkt sie nicht an den Ruf ihres Vaters? An den Ruf ihrer Mutter und ihrer Schwester? An dieses unschuldige Kind?…«, und sie wies mit der Hand auf Chodjasteh.
    Nozhat sagte, »Chanum Djan, Mahbube hat recht. Bald wird er zum Militär gehen und sich einen Namen machen.«
    Meine Mutter schrie, »Sie will sich wohl über uns lustig machen? Mahbube soll sich unterstehen. Dieser Habenichts geht zum Militär? Und übermorgen wird dir dein Mann entweder Vorhaltungen machen und dich aus dem Haus werfen, oder er wird dir eine Nebenfrau aufhalsen. Kaum machst du den Mund auf, wird er dir deine Schwester unter die Nase reiben. Und Chodjasteh, dieses ahnungslose Kind? Wer wird noch um sie werben? Werden die Leute nicht sagen, die ist wie ihre Schwester? Sie ist gerade mal die Zöpfe ihrer Mutter wert. Denkst du, es klopft noch jemand an unsere Tür oder kommt uns besuchen? Die Leute werden nicht mal erlauben, daß Chodjasteh mit ihren Töchtern spazierengeht, mit ihnen redet. Sie werden nicht zulassen, daß ihre Kinder mit uns verkehren, geschweige denn werden sie selbst zur Brautwerbung kommen. Und sie haben recht. Ich würde auch nicht erlauben, daß meine Tochter mit solch einem frechen und schamlosen Mädchen verkehrt. O Gott, was hast du mir da angetan?«
    Nach und nach wurde meine Mutter müde. Sie wickelte sich in einen Tchador, hockte sich an die Zimmerwand und saß still da. Ich weiß nicht, ob sie den Anbruch der Nacht und die Ankunft meines Vaters erwartete, oder ob sie erschöpft war und keine Kraft mehr hatte aufzustehen.
    Inzwischen hatte sich Chodjasteh, die mir die Nachrichten überbrachte, ebenfalls neben mich gekauert. Meine ältere Schwester war bei meiner Mutter.
    Die Nacht brach herein, und die Rückkehr meines Vaters rückte näher. Mir war, als stülpte sich mir der Magen um. Mein Mund war ausgedörrt. Soviel Wasser mir Chodjasteh auch brachte, es halfnichts. Ich zitterte von Kopf bis Fuß. Als wartete ich auf den Henker. Meine Schwestern halfen einander beim Anzünden der Petroleumlampen. Auf Chodjastehs Anweisung kam Hadj Ali aus der Küche und fegte den Hof mit einem feuchten Besen.
    Ich hörte die Stimme meiner Mutter, wie sie verärgert und jammernd zu Chodjasteh sagte, »Kind, schließ die Fenster und Türen, mir ist kalt.«
    Chodjasteh erwiderte ängstlich und vorsichtig, »Mitten im Hochsommer, Chanum Djan? Es ist doch sehr warm.«
    »Wenn ich sage, ›Schließ die Tür da‹, gehorchst du. Mir geht es nicht gut.«
    Ich hörte das Geräusch des Schließens der Fenster und Türen, die sich auf den Eiwan öffneten. Vor den Fenstern hingen Vorhänge mit weißer Tüllborte, die man in der Mitte zusammengebunden hatte, um den Unbefugten den Blick ins Zimmer zu verwehren. Bestimmt wollte meine Mutter nicht, daß die Stimme meines Vaters nach außen drang und womöglich den halbtauben Hadj Ali im Küchenwinkel am Ende des Gartens aufstörte.
    Nun, da die Amme und Dadde Chanum nicht anwesend waren, deckten meine Schwestern das Speisetuch. Wieder mit Ayran und Sauerkirschensaft, den mein Vater so sehr liebte und meine Mutter überhaupt nicht. Wieder mit sauer Eingelegtem, das meine Mutter in jenem Frühling zum ersten Mal zubereitet hatte und das noch nicht seinen vollen Geschmack hatte.
    Ich hörte das Klagen meiner Mutter, die

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