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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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ohnmächtig und hilflos zu Nozhat sagte, »Ständig haben sie mir gesagt, leg bloß kein saures Gemüse ein, das bringt Unglück. Ich hab nicht auf sie gehört. Ich habe gelacht über ihre Worte. Ich habe nicht geglaubt, daß solch ein Unheil über mich hereinbrechen würde.«
    Nozhat lachte gekünstelt und mit belegter Stimme, »Ach wo, dummes Geschwätz! Sie reden wie die Waschweiber. Noch ist nichts passiert. Na und, Sie verheiraten ihre Tochter. Unter uns gesagt, es wurde höchste Zeit.«
    »Nozhat, schäm dich was. Nicht einmal Mahbubes Sarg würde ich diesen Taugenichts tragen lassen. Soll er weiterträumen. Sie hat etwas ausgefressen, und du unterstützt sie? Heute nacht muß ich die Angelegenheiten dieses Mädchens mit deinem Vater klären.«
    »Chanum Djan, um Gottes willen, fangen Sie bloß nicht davonan, wenn Agha Djan ankommt. Lassen Sie ihn erst einmal ausruhen, etwas essen, dann… Und schüren sie es nicht zu sehr an.«
    Meine Mutter seufzte auf, »Du brauchst mich nicht zu belehren.«
    Zunächst hörte ich Vaters Schritte aus dem Biruni . Nach einem Weilchen ertönte seine verdutzte Stimme aus dem Hof des Andaruni , »Wo sind Sie, Chanum? Warum ist niemand da?«
    Chodjasteh suchte mich im Eiwan auf und sagte mit leiser, erschrockener Stimme, »Mahbube, steh auf und komm erst mal ins Zimmer, damit Agha Djan keinen Verdacht schöpft. Nach dem Abendessen kannst du gehen.«
    Mit bekümmerter Miene setzte ich mich zum Essen. Mein Vater zog die Schuhe aus und betrat das Zimmer mit dem Spazierstock aus Ebenholz, den er wegen der Eleganz dabei hatte. Beim Anblick des Spazierstocks durchfuhr mich der Blitz.
    »Weshalb hat Hadj Ali mir geöffnet? Wo ist denn Firuz Chan? Ach, Nozhat, du bist ja auch da!«
    Chodjasteh begrüßte ihn und rannte ans Hofende, um Hadj Ali die Speisen, die mein Vater bei seiner Ankunft aufzutragen befohlen hatte, abzunehmen.
    Nozhat lachte gequält und sagte, »Gefällt es Ihnen nicht, daß ich da bin, Agha Djan?«
    »Doch, mein Liebes, natürlich! Du bist herzlich willkommen. Aber zu dieser Nachtzeit… ohne deinen Ehemann…?« Dann schaute er sich verdutzt um und sagte zu meiner Mutter, »Geht es dir nicht gut, Chanum? Du bist ganz blaß.« Während er sein Jackett, das er ausgezogen hatte, auf ein Sitzkissen warf, ließ er sich zum Essen nieder.
    Meine Mutter antwortete, »Doch, es geht mir gut. Ich habe nur ein wenig Kopfschmerzen. Ich glaube, ich habe mich verkühlt. Mögen Sie kein sauer Eingelegtes?«
    Mein Vater tat sich Linsen-Pilav auf den Teller. Er hatte noch keine zwei Bissen zu sich genommen, als er meine Mutter fragte, »Wo ist denn Manuchehr? Von ihm ist ja nichts zu hören.«
    Meine Mutter wechselte das Thema, »Nozhat Djan, warum schenkst du dir nicht Saft ein?«
    Mein Vater, der mit einem Mal die unnatürliche Atmosphäre bemerkt hatte, fragte mich, »Mahbube, was ist los mit dir? Weshalb bist du so trübsinnig?« Und dann fragte er besorgt und ziemlichlaut, »Chanum, wo ist Manuchehr? Was ist los mit euch? Wo ist die Amme? Wo sind Firuz und seine Frau?…« Als er merkte, daß wir alle schwiegen, steigerten sich seine Angst und Besorgnis. Vermutlich fürchtete er, Manuchehr sei ihm auf irgendeine Weise entrissen worden, ein Unglück, wie es den Neugeborenen zur damaligen Zeit leicht zustoßen konnte. Diesmal fragte er voller Nachdruck entsetzt, »Chanum, ich hatte gefragt, wo Manuchehr ist?«
    Meine Mutter sagte mit einer Stimme, die wie aus der Tiefe eines Brunnens kam, »In Nozhats Haus.«
    Ich säuberte sorgfältig wie gewohnt meinen Rock. Nicht, daß etwa Speisereste auf ihn gefallen wären, schließlich hatte ich fast nichts gegessen. Behutsam stand ich auf und verließ das Zimmer. Vier Paar Augen folgten mir mit unterschiedlichen Gefühlen und Gedanken. Meine Mutter, die mich nicht ansehen mochte, wandte sich voller Abscheu von mir ab. Unverzüglich ertönte die Stimme meines Vaters, »Was ist heute abend los in diesem Haus?«
    Ich eilte ins Nebenzimmer, dachte aber, es würde nichts nützen, dort zu bleiben. Ich war der Gefahr noch zu nah. Mein Vater würde hinter mir her zunächst hierher kommen und dann in die Vorratskammer, die seit der Kindheit mein bevorzugtes Versteck war. Ich nahm meinen Gebetsschleier in die eine Hand und meine Schuhe in die andere. Auf Zehenspitzen ging ich zur Tür und spähte durch den Türspalt. Mein Vater hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und stand über meiner Mutter. Meine Mutter sagte flehentlich und klagend,

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