Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
Vom Netzwerk:
»Agha, setzen Sie sich um Gottes willen, damit ich es Ihnen erzählen kann. Wenn Sie so über mir stehen, verschlägt es mir die Sprache.«
    In vollkommener Stille ging mein Vater mit ein paar langen Schritten ans andere Ende des Zimmers und nahm einen Holzstuhl vom Beistelltisch, kehrte zurück, stellte ihn genau vor meine Mutter und setzte sich darauf. Er kreuzte die Arme vor der Brust. Inzwischen hatte er die Manschetten aufgeknöpft und hochgeschlagen. Auch ein, zwei Knöpfe seines Hemdkragens standen offen. Seine bestrumpften Füße ruhten nahezu aneinandergeklebt auf dem Boden, und die Knie hatte er geöffnet. Als wollte er dem Körper meiner Mutter den erforderlichen Raum schaffen.
    »So, ich sitze. Nun schießen Sie los.« Seine Stimme klang befehlend.
    Meine Mutter wandte sich an Chodjasteh, »Kind, geh schlafen.«
    Mein Vater hob wortlos eine Braue und sah Chodjasteh an.
    Chodjasteh, die den Kopf so weit gesenkt hatte, daß man ihren Haaransatz sah, hob den Kopf und fragte, »Wollen Sie nicht, daß ich abräume?«
    »Nicht nötig. Nozhat und ich sind da. Wir werden abräumen.«
    Chodjasteh kam heraus. Ich verzog mich zur Seite. Sie schloß die Tür und sah mich erschreckt an. Sie biß sich auf die Lippe und sagte leise, »Bleib nicht hier. Versteck dich. Agha Djan wird dich in Stücke reißen. Geh und versteck dich.«
    Zum Zeichen des Stillschweigens legte ich einen Finger an die Lippen und bedeutete ihr schlafen zu gehen. Ich zitterte am ganzen Leib und konnte nicht richtig ins Zimmer hineinsehen.
    Mein Vater fragte meine Mutter, »Nun?!«
    »Ich habe die Amme und Manuchehr zu Nozhats Haus geschickt, damit…«
    Mein Vater schnitt ihr das Wort ab, »Braucht das Kind denn keine Milch?«
    »Eben, deshalb habe ich es zu Nozhat geschickt. Ich habe Mahmuds Amme angewiesen, Manuchehr ebenfalls zu stillen. Und Firuz Chan und Dadde Chanum hat Nozhat unter dem Vorwand, sie sollten ihr helfen, ein Gelübde zu erfüllen und Kerzen anzünden, nach Shah Abdol-Azim geschickt. Ich wollte das Haus räumen.«
    »Das Haus räumen? Weshalb? Wofür?«
    Meine Mutter hockte sich auf die Knie, stützte sich mit ihren Händen auf und sagte, »Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen.« Ihre Stimme zitterte.
    »Worum geht es?«
    »Mahbube.« Meine Mutter senkte den Kopf und fuhr fort, »Sie hat Nozhat gesagt, daß sie Mansur nicht will.«
    »Was soll das heißen? Warum macht sie solch ein Theater? Erst sagt sie, sie wolle Ata od-Doules Sohn sehen. Nachdem sie ihn gesehen hat, sagt sie, ›Ich will ihn nicht, er hatte Frau und Kind.‹ Als hätte sie nicht im voraus gewußt, daß er verheiratet ist. Und jetzt will sie Mansur nicht?«
    »Bei Gott, Agha, ich habe ihr dasselbe gesagt.«
    »Was will sie dann? Wie lange will sie noch zu Hause sitzen? Sieist doch kein Kind mehr. Sie ist doch fünfzehn oder sechzehn. Weiß sie immer noch nicht, was sie will?«
    »Doch, Agha, sie weiß, wen sie will.«
    Mein Vater erstarrte und fragte nach einem Augenblick, »Was hast du gesagt?«
    »Agha, bei deinem Vorfahr, wenn du anfängst zu schreien….«
    Mein Vater war Sseyyed. Meine Mutter zögerte und fuhr kaum hörbar fort, »Sie sagt… sie sagt… um ehrlich zu sein, hat sie selbst ein Auge auf jemanden geworfen.«
    »Ein Auge auf jemanden geworfen?… Auf wen denn?«
    Mein Vater glich einem Henker, der bedächtig eine zum Tode Verurteilte betrachtete, deren Kopf er in wenigen Augenblicken seelenruhig vom Körper trennen würde. Also gewährte er ihr eine Schonfrist. Er kaute auf einem Zipfel seines Schnurrbarts herum. Meine Mutter senkte den Kopf.
    »Was soll ich sagen, Agha…«
    »Ich fragte, wen?« Die Stimme meines Vaters wurde lauter. Wie vernünftig von meiner Mutter, daß sie Fenster und Türen hatte schließen lassen.
    »Agha, ich fürchte mich, es zu sagen. Er ist nicht sehr geachtet.« Die Stimme meiner Mutter verebbte mit einem Stöhnen. Eine lastende Stille senkte sich über das Zimmer.
    »Wo hat sie ihn gesehen?«
    Die üppige und hellhäutige Gestalt Nozhats stand hinter meinem Vater und spielte mit ihren Fingern.
    Meine Mutter, die den Kopf gesenkt hielt und mit den Fingern den Umrissen der Blumenmuster des Teppichs nachfuhr, sagte tonlos, »An der Straße.«
    Mit einer Stimme, die der Ruhe vor dem Sturm glich und die das Explodieren einer Kanonenkugel ankündigte, sagte mein Vater, »Nazanin, ich frage dich im Guten. Auf wen hat sie ein Auge geworfen?« Offenkundig vermied er die Erwähnung meines Namens.
    »Werden Sie sich

Weitere Kostenlose Bücher