Der Morgen der Trunkenheit
noch in Verwandlung. Meiner Meinungnach war sie zu gut für unseren Cousin Hamid. Sie war sehr begabt. Bei meinem Vater lernte sie Französisch, und sie hatte auch eine Hauslehrerin. Sie wollte die Mädchenschule besuchen, doch mein Vater erlaubte es ihr nicht. Er hatte es lieber, wenn seine Töchter zu Hause Unterricht nahmen. Am Ende ließ meine Mutter ausrichten, »Gedulden Sie sich noch ein Weilchen. Die Angelegenheit von Mahbube und ihrem Cousin ist noch nicht geregelt. Ich werde Ihnen Bescheid geben.«
Am Tag der Rückkehr aus dem Garten hatten meine Eltern erneut begonnen zu schmollen und finstere Mienen aufzusetzen. Erneut herrschten Verbot und Ausgangssperre.
Anderntags heizte man das Hammam in aller Frühe an. Bei Tagesanbruch war es bereit. Aqa Beygum, die Badewärterin kam, trank Tee und aß Kuchen im Zimmer von Dadde Chanum und stieg schnurstracks die beiden Stufen zum Hammam hinab. Sie entkleidete sich in der gemütlichen, kleinen Garderobe und betrat das Bad. Zunächst badete sie Chodjasteh. Dann nahm meine Mutter Manuchehr, der gerade erwacht war, mit sich ins Hammam . Ich hatte meine Kleider bereitgelegt, als die Frau Amme kam. Meine Augen waren vor lauter Weinen in der vergangenen Nacht verquollen. Die Amme sagte, »Sieh nur, was sie mit sich angestellt hat! Hast du dein Gesicht im Spiegel betrachtet? Hast du deine Kleider bereitgelegt? Hast du alles mitgenommen?«
»Ja, liebe Amme.«
Gummitragant und Seife waren ja bereits im Hammam . Die Amme sagte, »Wasch dein Gesicht, es ist arg verquollen. Diese Aqa Beygum ist eine ganz Durchtriebene. Wenn sie dein Gesicht sieht, werden es die Spatzen von den Dächern pfeifen. Außerdem wird sie es kräftig ausschmücken. Zu allem Überfluß ist sie täglich in einem anderen Haus. Sie wird alles laut ausposaunen.« Sie ergriff meine Oberarme, ich sollte mich erheben. Ich stöhnte vor Schmerz derart auf, daß sie wie von der Schlange gebissen ihre Hände fortzog und fragte, »Was ist geschehen?«
»Die Kneifstellen von Chanum Djan schmerzen.«
»Schlag sie hoch!« Ich schlug meine Ärmel hoch und erschrak selbst, als ich an meine Unterarme gelangte. Beide waren handtellergroß schwarz verfärbt und blutunterlaufen. Meine liebe Amme sagte, »O weh, mein Gott, laß mich sterben. Sieh nur, wie sie diesesMädchen zugerichtet hat. Schlag sie hoch, daß ich deine Oberarme sehen kann.«
Der Zustand meiner Oberarme war noch schlimmer. Als hätte man sie mit einem dunklen, auberginefarbenen Stück Stoff überzogen, das hier und da rote und violette Flecken trug. Meine Amme untersuchte auch meine Oberschenkel. Sie sahen nicht besser aus. Meine Mutter, die soeben das Hammam verließ, hatte über ihrem Badekopftuch einen weißen, geblümten Gebetsschleier angelegt und hatte den rotbackigen Manuchehr in einem weißem Wickeltuch samt Badekopftuch bei sich. Als hätte man den Kopf einer hübschen Puppe auf einen Stößel gepfropft. Zornig rief sie, »Liebe Amme, sag ihr, daß sie kommt. Aqa Beygum wartet.« Und da sie keine Antwort vernahm, rief sie, als sie die Stufen erreicht hatte, erneut, »Mahbube, Mahbube, hatte ich nicht mit dir gesprochen?«
Die Amme schob das Fenster hoch. Sie steckte den Kopf hinaus und rief mit lauter Stimme, so daß es auch Aqa Beygum im Hammam hören konnte, »Chanum, Mahbube Chanum kann heute nicht baden. Sie ist verhindert.«
Meine Mutter, die inzwischen das Zimmer betreten hatte, sagte zur Amme, die noch den Kopf hinausgestreckt hielt, »Weshalb brüllst du so, Frau Amme? Es ist eine Schande. Hadj Ali ist in der Küche, er wird es hören.« Und mit der Hand wies sie auf mich, »Ich weiß doch, daß der überhaupt nichts fehlt. Was soll das Getue? Schnell, Mädchen, steh auf und geh ins Hammam !«
Die Amme ergriff meine Hand und schlug meinen Ärmel hoch. »Soll sie so ins Hammam gehen? Sehen Sie nur, wie Sie sie zugerichtet haben. Das hatte uns gerade noch gefehlt, daß Aqa Beygum ihren verfärbten Körper sieht und mit dieser Nachricht die Runde macht.« Und an mich gewandt fügte sie hinzu, »Ich gäbe alles für dich, mein Kind. Sobald Aqa Beygum gegangen ist, werde ich dich selbst ins Hammam mitnehmen und baden.«
Meine Mutter sagte im Hinausgehen, »Na eben. Wenn dieses Gehätschel nicht wäre, wäre sie nicht so frech geworden.«
Die Amme ging ihr nach. »Sie ist nicht mein Fleisch und Blut, aber ich habe sie großgezogen. Sie ist ein Kind. Als ich ihre Arme und Beine gesehen habe, sagte ich mir ›Chanum Djan, möge dir Gott
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