Der Morgen der Trunkenheit
stieg ich barfuß die Treppe vom Dach hinab. Im Haus war niemand. Bestimmt waren sie ins Houzchaneh gegangen. Sie wollten nicht, daß jemand sie hörte. Die Angelegenheit war geheim. Es war meine Angelegenheit.
Vorsichtig stieg ich die Stufen des Anrichteraums hinab, der auf einer Seite zum Hof und auf der anderen zum Houzchaneh führte, und hörte ihre leisen Stimmen. Ich spähte durch die Ritze der verriegelten Tür. Mein Onkel saß auf einem Holzbett, das neben dem kleinen Becken stand und mit Kelims belegt war. Ich sah sein Profil. Mein Vater hielt die eignen Knie umschlungen, und meine Mutter saß neben meinem Vater auf der Kante des Holzbetts. Sie hielt den Kopf gesenkt und sprach nicht. Nur einen Augenblick hob sie den Kopf und sagte, »O weh, ich sitze einfach herum. Ich sollte gehen und eine Wassermelone, Tee oder eine Wasserpfeife bringen.«
Mein Onkel wedelte ungeduldig mit der Hand, »Nein, Chanum. Bitte bleiben Sie sitzen. Ich bin gekommen, um ein paar Worte zu sagen und zu gehen. Ich bin doch nicht gekommen, um bewirtet zu werden. Lassen wir das für ein andermal.« Plötzlich fragte er übergangslos, »Nun, wie habt ihr euch schließlich entschieden?«
Mein Vater hob verwundert eine Braue, »Inwiefern, Brüderchen?«
»In Bezug auf den Fauxpas deiner Tochter. Ich meine Mahbube.«
Als hätte man mir das Firmament auf den Kopf geschlagen. Zum Teufel mit dir, Mansur! Hast du schließlich deinen Mund doch nicht halten können?
Meine Mutter hob besorgt den Kopf und sah meinem Onkel ins Gesicht. Mit den Augen bat sie ihn, das Geheimnis zu wahren. Mein Vater blieb still. Kein Zweifel, mein Onkel wußte sehr viel. Dann fragte mein Vater ruhig, aber bekümmert, »Wie haben Sie denn Wind davon bekommen?«
»Weil ich wußte, daß Mansur Mahbube von Anbeginn begehrte. Weshalb sollte er seine Meinung dann nach einem einstündigen Spaziergang und Gespräch mit ihr komplett ändern? Ich setzte Mansur zu. Ich ließ ihm keine Ruhe. Endlich habe ich mich heute abend, amfrühen Abend, als seine Mutter und die Kinder nicht zu Hause waren, hingesetzt mit ihm und ausführlich mit ihm gesprochen. Er sagte, ›Mahbube will mich nicht.‹ Sie hätte gesagt, ›Laß mich in Ruhe. Laß mich die Frau desjenigen werden, der mir gefällt.‹«
Meine Mutter grub sich die Nägel ins Gesicht, »O weh, Gott lasse mich sterben.«
Mein Onkel sagte beherrscht, »Chanum, was tun Sie da? Das macht doch keinen Sinn. Man muß das Problem mit Gelassenheit lösen.«
Meine Mutter sagte, »Agha, dieses Problem ist nicht lösbar.«
Mein Vater fragte, »Hat Mansur nicht gesagt, wessen Frau sie werden wollte?« Seine Stimme klang bedrückt.
Mein Onkel sagte, »Doch, sie hat es gesagt. Sie sagte, es sei eine Person, die später zum Militär gehen will.«
Mein Vater fragte wieder, »Hat sie nicht gesagt, was er von Beruf ist?«
Der Onkel senkte den Kopf. Er wollte meinen Vater nicht beschämen, »Doch. Sie hat gesagt, er sei gegenwärtig Schreinerlehrling.«
»Das hat er richtig gesagt. Meine Frau Tochter hat sich verliebt. Sie begehrt einen Schreinerlehrling. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, seine Frau zu werden.« Er zögerte und fuhr dann fort, »Ha, dieses lange Elend… Der will zum Militär? Mit diesem Gerede hat er dem törichten Mädchen den Kopf verdreht.«
»Nun gut, geben Sie sie ihm und lassen Sie sie ziehen.«
Meine Eltern hoben beide erstaunt die Köpfe. Zweifellos waren auch meine Augen in dem dunklen Winkel ganz groß geworden.
»Sie ihm geben und die beiden ziehen lassen? Was ist das für ein Gerede, Brüderchen? Ich würde diesen Betrüger nicht einmal ihre Leiche schultern lassen. Sieh nur, welchen Skandal dieses Mädchen heraufbeschworen hat! Wie sie unsere Ehre ruiniert hat! Gleich heute nacht werde ich meine Rechnung mit ihr begleichen. Ich werde ihre Leiche auf den Eiwan werfen.«
Er wollte aufstehen. Mein Onkel packte ihn am Arm. Meine Mutter sprang ebenfalls auf, stellte sich vor meinen Vater und sagte zu meinem Onkel gewandt, »Agha, halten Sie ihn um Himmels willen zurück!«
Onkel, der der ältere Bruder meines Vaters war, fuhr ihn barschan, »Was soll dieses Benehmen? Weshalb gebärdest du dich so kindisch? Nehmen wir einmal mal an, Sie würden hingehen und sie töten, wäre Ihre Ehre dann wiederhergestellt? Ein Hin und Her mit Polizisten, Verhaftung und Arrest. Oder wenn Sie ihr eine ordentliche Tracht Prügel verabreichten, würde das etwas nützen? Man muß eine pragmatische Lösung finden. Das
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