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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Mädchen ist, laut Mansur, außer sich. Mansur sagte, ihr Blick sei wie der Blick einer Schwermütigen. Er sagte, ›Ich hatte Angst, sie hätte sich, wenn ich zu sehr mit ihr herumgestritten hätte, die Kleider vom Leib gerissen und wäre in die Wüste geflohen.‹ Nun gut, dann vermählen Sie sie mit diesem jungen Mann. Er wird zum Militär gehen, und Sie werden ihm helfen…«
    Mein Vater schnitt ihm das Wort ab, »Er wird zum Militär gehen? Was reden Sie da? Dieser nichtswürdige Lump? Wenn der sich für das Militär interessiert hätte, wäre er schon längst dort. Wenn der zum Militär geht, ändere ich meinen Namen. Darauf verwette ich mein Leben. Wenn er wenigstens dazu fähig wäre, täte es mir nicht so leid…«
    Mein Onkel sagte sanft, »Seien Sie doch vernünftig. Für alles gibt es eine Lösung. Wie soll es denn ausgehen? Sie sagt, sie begehrt diesen Jüngling? Gut, dann benachrichtigen Sie ihn mit Anstand und Würde. Legen Sie ihre Hände ineinander, damit sie ihr eigenes Leben führen können. Sie verstößt doch nicht gegen die religiösen Gesetze. Sie will heiraten.«
    Mein Vater setzte sich, als trüge er eine schwere Bürde auf dem Buckel, an seinen Platz und lehnte sich an die Einfassung des Holzbetts. Er war leichenblaß. Er sagte, »Jawohl, großer Bruder. Sie beaufsichtigen das Feuer von fern. Stehen daneben und wissen alles besser. Aber was soll ich sagen? Meine Ehre steht auf dem Spiel. Es ist ja nicht Ihre Tochter, es ist meine. Wäre es Ihre eigene Tochter, wüßten Sie, was ich meine. Wäre es Ihre eigene Tochter, würden Sie sie dann so umstandslos ziehen lassen?«
    Mein Onkel fiel ihm ins Wort, »Nein, so was! Meine Tochter ist es nicht? Richtig, es ist nicht meine Tochter, aber die Tochter meines Bruders ist sie doch! Trotz ihrer Torheit hat sie Mansur etwas Richtiges gesagt. Sie sagte, wenn ich meine Ehre verliere, wird die ganze Familie ihre Ehre verlieren. Alle werden sagen, ihre Cousinen sind wie sie. Wenn ich es mir überlege, stelle ich fest, daß ihre Worte etwas fürsich haben. Nun bestellen Sie ihn her, sehen Sie ihn sich an und prüfen ihn. Vielleicht ist er ein anständiger Mensch. Sie sagen, er wird kein Offizier, er sei gegenwärtig Schreiner? Meinetwegen, soll er Schreiner sein. Arbeit ist doch keine Schande. Gilt denn etwa der Beruf als Maßstab? Sie haben ihn doch noch nicht gesehen, oder? Vielleicht sagt er ja auch die Wahrheit und geht zum Militär.«
    »Wie sollte ich ihn nicht gesehen haben, Agha? Ich weiß nur nicht, was diesem dämlichen Mädchen an ihm gefallen hat. Weder schön noch vollkommen. Er ist lediglich ein nichtsnutziger, dreister Mensch mit rauher Stimme. Redet wie ein Prolet. Den Kragen so weit geöffnet, daß noch das Takelwerk seiner breiten Schultern zu sehen ist. Sein Kopfhaar hängt ihm vorn und hinten wirr herab. Wie ein Strichjunge. Impertinenter Blick und schamlose Augen. So ein Mensch soll Offizier werden? Das ist alles nur schönes Gerede, mein Bruder. Ich verwette mein Leben darauf. Wenn er nicht schlimmer wird, als er schon ist, darf er mir auf den Bart spucken.«
    Nicht zu fassen! Wie kam es, daß mein Vater und ich, zwei Menschen mit offenen Augen und Ohren, denselben jungen Mann so unterschiedlich sehen konnten? Die Stimme, die ich als männlich und angenehm empfand, erschien ihm rauh und ungehobelt. Seine wirren und verschlungenen Locken, mit denen er mir wie ein Sufi vorkam, wirkten in den Augen meines Vaters liederlich. Seine großen Augen mit dem wilden, leidenschaftlichen Blick empfand er als dreist und schamlos. Wie brachte er es übers Herz, jene Mähne und jenen kräftigen, sonnenverbrannten Nacken, dessen Adern unter den Sehnen hervortraten, als Takelwerk zu bezeichnen.
    Mein Onkel fragte, »Was willst du nun tun, Bruder? Es ist geschehen. Das Mädchen hat doch keine Schande bereitet!…«
    Sofort verstummte er selbst. Schande. Genau das war es, was ich heraufbeschworen hatte. Angriffslustig erwiderte mein Vater, »Sie hat keine Schande bereitet? Was soll denn Schande sonst bedeuten? Wie könnte man es anders nennen?«
    Onkelchen sagte, »Mensch, sie will heiraten. Verliebtsein ist doch keine Sünde. Hat sich denn Heidar Chans Tochter etwa nicht verliebt und geheiratet? War denn Morteza Qoli Chans Sohn etwa nicht von jener alten Witwe mit zwei Kindern betört und hat sie schließlich geheiratet? Es gibt doch keine Höhergestellte als Mahde Oulia, die sich in den Bräutigam ihres Kochs verliebte!…«
    Mein Vater wedelte

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