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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Schwägerin Gold erwartet hatte, unter dem Vorwand, sie hätte eine segensreiche Hand gehabt und das Kind wäre deshalb ein Sohn geworden, weil sie für Nazanin eine Wöchnerinnensuppegekocht hatte, einen breiten Goldarmreif und versiegelte ihr damit die Lippen.
    Die Frau meines Onkels stand Tante Keshwar in nichts nach. Allerdings betrieb sie es nicht so ausgeprägt, da sie von Ehemann und Kindern in Anspruch genommen war und Respekt vor Mansur und dem Onkel hatte. Dabei litt sie selbst unter der bösen Zunge der Tante und steckte vor dieser zurück. Würden nun diese beiden intriganten Frauen erfahren, was vorgefallen war, wären sie außer sich vor Freude. Beides, ihre Neugierde und ihr Neid auf das Glück meiner Mutter, würden dazu führen, daß sie unsere Schande ausposaunten. Mein Vater wußte dies sehr wohl, wagte jedoch nicht, dies vor meinem Onkel offen auszusprechen.
    Mein Onkel war ein sanfter und nobler Mann. Doch litt auch er unter den bösen Zungen seiner Ehefrau und seiner Schwester. Deshalb sagte er, »Weshalb redest du in Andeutungen, Brüderchen? Falls du meine Frau meinst…«
    Meine Mutter ritzte sich mit den Nägeln die Wange, »Gott, laß mich sterben. Agha, was reden Sie denn da?«
    Mein Onkel überhörte ihre Worte und fuhr fort, »Falls du meine Frau meinst, die überlaß Mansur und mir. Es genügt, daß ich ihr sage, ›Mahbubes Schande bedeutet die Schande deiner eigenen Töchter, und du wirst sie ein Leben lang am Hals haben‹, oder daß Mansur sie anschreit, damit sie ihre Zunge hütet. Was jedoch Schwester Keshwar betrifft, werde ich ihr ausrichten lassen, andere würden tausenderlei Schmach auf sich laden und ihre Familien hielten es geheim. Müßten wir uns vor der Zunge unsrer eigenen Schwester etwa mehr fürchten, als vor unseren eingefleischten Feinden? Ich werde ihr ausrichten lassen, daß ich beim Grab unseres Vaters und bei der Herrlichkeit Gottes schwöre, ihren Namen nie wieder zu erwähnen, falls sie ein Sterbenswörtchen über diese Angelegenheit verliert, falls sie beleidigende Anspielungen macht und falls sie sich vor diesem und jenem ahnungslos und unwissend stellt und andeutungsweise ausplaudert, was die Familienehre beschmutzt und einen Skandal heraufbeschwört. Sie soll sich vorstellen, ihr Bruder sei gestorben, ein Totengebet sprechen und sich den Gedanken an mich aus dem Kopf schlagen. Wir sehen uns erst am Jüngsten Tag wieder. Beim Grab meines Vaters, das würde ich tun.«
    Meine Mutter atmete erleichtert auf. Alle wußten, der Onkel warein Mann, der Wort hielt. Bis zu diesem Abend hatten weder mein Vater noch Onkelchen jemals in diesem Ton von Tante Keshwar oder der Frau des Onkels gesprochen. Erst an diesem Abend begriffen meine Mutter im Houzchaneh und ich hinter der Tür, daß die beiden Männer wie alle anderen zutiefst verärgert über sie waren. Doch was sollten sie tun? Die eine war ihre Schwester und die andere eine angeheiratete Verwandte.
    Meine Mutter wandte sich an meinen Vater, »Wahrlich, der Agha hat recht. Das Mädchen will doch nicht gegen die religiösen Gesetze verstoßen. Sie will heiraten. Was bleibt uns schon übrig? Wir müssen sie ziehen lassen.«
    Mein Vater sah sie empört an, »Bist du ebenfalls wankelmütig geworden? Warst du es nicht, die sagte, ›Mahbube muß über meine Leiche gehen‹? Wie kommt es, daß du deine Meinung geändert hast?«
    Meine Mutter sagte mit bebender Stimme, »Was bleibt mir anderes übrig? Was in aller Welt soll ich tun?« Und sie wandte sich an Onkelchen und fügte hinzu, »Bei Gott, Agha, mir blutet das Herz. Halte ich zu meiner Tochter, muß ich befürchten, daß es meinen Ehemann ruiniert…« Die Tränen flossen aus ihren Augen, und sie fuhr fort, »Halte ich zu ihm, muß ich befürchten, daß mein Kind zugrunde geht. Wie Sie gesagt haben, sie könnte etwas schlucken und sich umbringen. Täglich hundert Mal wünsche ich mir von Gott den Tod. Eines Tages wollte ich Opium schlucken und mich umbringen. Bei Gott, es tat mir weh, mir Manuchehr als Waisenkind vorzustellen.«
    Mein Vater war bestürzt. Er sah meine Mutter schmerzerfüllt und verliebt an und sagte, »Was sagst du da? Vielen Dank auch! Das fehlte mir noch, daß du mich in diesem Unglück allein läßt und fortgehst. Als hätte ich nicht genug Kummer, daß du mir noch Salz in die Wunden streutest!«
    Meine Mutter versuchte vergebens, sich die Tränen mit dem Zipfel ihres Tchadors vom Gesicht zu wischen. Auch ich hinter der Tür war

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