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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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mich, um seine Halsader zu küssen; sie roch nach Holz. Ich küßte sie nicht. Ich weiß nicht, weshalb ich das Verlangen verloren hatte. Es gefiel mir nicht.
    Nachts saßen wir nach dem Abendessen im größeren Zimmer, das ich den Salon nannte. Ich hegte wahrhaft unerfüllte Wünsche. Es war sowohl Empfangszimmer als auch Wohn- und Eßzimmer. Wir besaßen keinen anderen Raum. Das gesamte Haus war nicht größer als ein Hühnerstall. Weshalb sollte ich also über den Mangel an Umgang und Geselligkeit betrübt sein? Ich hatte gar keinen Platz, um die Familienmitglieder, die ihre Nase hoch trugen, die Räume zählten und insgeheim das Mobiliar registrierten, zu bewirten. So zu bewirten, wie ich es mir wünschte. So, daß es nicht zu übler Nachrede und Getuschel führte.
    Es war allmählich kalt geworden. Rahim baute mir einen kleinen Korsi. Wir stellten ihn in die Ecke des Salons und benutzten zu seiner Ausstattung die Decken, Matratzen und Rückenkissen, die ich als Aussteuer mitgebracht hatte. Ich besaß nichts, um esals Schmuck auf den Korsi zu legen. Ich erinnerte mich an das Stück Wollstoff, das mir die Amme mit meiner Aussteuer mitgebracht und das sie in die Truhe hinter dem Vorhang gelegt hatte. Ich holte es und legte es auf den Korsi. Nachts zündeten wir die Petroleumlampe an und stellten sie auf dem Messingtablett mit gewelltem Rand auf den Korsi. Das Abendessen aßen wir am Korsi. Wir tranken Tee und setzten uns aneinandergepreßt an eine Seite des Korsis. Ich las ihm die Liebesgedichte aus Leili und Madjnun oder Hafis vor.
    Diene der Liebe, die wahre Gesinnung ist sie
    Die Berufung aller Erleuchteten ist sie.
    Er schlief entweder ein, oder er hörte zu und lachte. Er schien dafür kein Gespür zu besitzen.
    Ich sagte, »Rahim, genießt du sie nicht? Gefallen sie dir nicht? Du taugst wirklich nur zum Offizier.«
    Eines Nachts brachte er weißes Papier, Tinte und eine Bambusfeder und sagte, »Ich möchte ein Gedicht für dich aufschreiben, damit du merkst, daß auch ich etwas davon verstehe.« Dann setzte er sich neben mich unter den Korsi und schrieb mit wirklich schöner Schrift:
    Ich verliere mein Herz, o, ihr Gottessuchenden,
    Weh mir, daß das Geheimnis enthüllt werden wird
    Plötzlich schlugen die Erinnerungen wie warme Wellen an mein Gesicht, und ich errötete. Ich überredete ihn, die bezaubernden Zeilen über der Nische an die Wand zu hängen.
    Eines Nachmittags kam uns wieder seine Mutter besuchen. Ich geleitete sie höflich ans Kopfende des Korsi. Rahim beachtete sie nicht sonderlich. Ich schob das auf die Rückforderung des Armreifs und der Ohrringe, die sie mir zur Trauung geschenkt hatte. Ich bestand darauf, daß sie zum Abendessen blieb, und sie nahm ohne Umstände an. Sie redete pausenlos und lachte. Ihre Zähne waren weiß und kräftig. Hätte man ihr die Spuren der Zeit vom Gesicht gewischt, wären Rahims Nase und Lippen übriggeblieben. Doch ihre Augen waren klein, durchdringend und rätselhaft. Ich fiel nicht mehr auf ihre Schmeicheleien herein. Ich traute ihr nicht mehr. Siesah mir kühn in die Augen, so als hätte sie mir nicht die Ohrringe entrissen, und redete über dies und das. Sie erzählte mir, wie ihre beiden älteren Kinder, die vor Rahim zur Welt gekommen waren, an verschiedenen Krankheiten gestorben waren. Beides Jungen. Daß Rahim ihr ein und alles sei. Daß er ihre Stütze und ihr Augapfel sei und wie sehr sie sich gewünscht habe, ihn als Bräutigam zu sehen. Aus Respekt vor meiner Schwiegermutter saß ich Rahim gegenüber, der sich bis zum Kinn unter dem Korsi verkrochen hatte.
    Rahim grollte, »Mutter, wieviel du redest! Wie ein Wasserfall.«
    In jener Nacht schliefen wir zu dritt unter dem Korsi, und ich wurde wieder trübsinnig. Morgens stand Rahim wie gewohnt früher auf und breitete in einem Winkel des Zimmers das Speisetuch für das Frühstück aus. Ich wollte aufstehen und ihm helfen, doch war ich müde und faulenzte.
    Als ich mich an den Samowar setzte, um allen Tee einzuschenken, blitzten die Augen seiner Mutter auf, und sie fragte Rahim, »Rahim, will deine Henne etwa ihr goldenes Ei legen?«
    Ich verstand die Bedeutung ihrer Worte nicht und fragte, »Was haben Sie gesagt, Chanum?«
    Rahim sagte gleichgültig, den Ellbogen auf ein Knie gestützt und auf den Tee, den er in die Untertasse gegossen hatte, blasend, was mir stets mißfiel, »Nichts. Sie fragt, ob du schwanger bist. Nein, sie ist nicht schwanger.«
    Seine Mutter hob eine Braue und sagte, »Als ich

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