Der Müllmann
zog ein Foto von Gernhardt vor, auf dem er zusammen mit Muller
an einem Tisch saß und speiste.
Was ist deine Rolle in diesem Spiel?, fragte ich Gernhardts Bild.
Was hast du vor?
Das ist die falsche Frage.
Ach ja? Und was wäre die richtige?
Frag dich doch mal, welche Rolle
Gernhardt dir dabei zugedacht hat.
Gute Frage. Schauen wir doch mal, ob wir noch mehr herausfinden
können.
»Hhmmpf hmpf!«
Dem Schlüssel nach fuhr Herr Landvogt einen Volvo. Einen älteren,
denn der Schlüssel hatte keine Fernbedienung. Die Wagen der meisten Nachbarn
kannte ich ja, so schwer sollte sich der Volvo nicht finden lassen.
»Hhmpf!«
Ich warf den Schlüssel in die Luft und fing ihn wieder auf. »Bin
gleich wieder da«, teilte ich Herrn Landvogt mit und ging auf die Suche.
Der
Volvo war in der Tat nicht schwer zu finden. Die meisten Nachbarn parkten ihre
Wagen in ihren Garagen. Der Volvo stand zwei Ecken weiter auf der Straße.
Ich warf
einen Blick in das Innere. »Bingo«, flüsterte ich. Dass dies Landvogts Wagen
war, wusste ich, noch bevor ich ausprobierte, ob die Schlüssel passten. Gesund
schien Herr Landvogt nicht zu leben, denn unzählige McDonald’s-Schachteln,
leere Becher und Dosen und Pizzakartons hatten den Wagen in eine rollende Müllhalde
verwandelt. Seinen Cholesterinspiegel wollte ich nicht haben.
Nur der Fahrersitz war einigermaßen frei von dem Müll … dafür gab es
im Fußraum des Beifahrers eine sorgsam ausgebreitete Decke. Kopfschüttelnd
schob ich die Decke zur Seite, griff mir die schwere Tasche, die darunter lag,
schloss wieder ab und machte mich auf den Weg zurück.
»Hmpf«, meinte Landvogt sogleich, als er hörte, dass ich zurückkam.
»Später«, vertröstete ich ihn und leerte seine Tasche auf dem
Campingtisch aus. Mit spitzen Fingern warf ich die Wäsche auf den Boden und
musterte das, was übrig blieb. Gut ein Dutzend Speicherkarten, Objektive, sonstiges
Zubehör, eine Gaspistole, Taschenlampe und sogar ein Satz Dietriche. Und ein
Notebook.
Na also, dachte ich und stöpselte das Ladegerät an. Damit sind wir
doch schon weiter.
Die Kennwortaufforderung kam, und ich wandte mich Landvogt zu.
Probiere es doch einfach.
Niemand ist so blöde, dachte ich und drückte die Returntaste. Oder
doch? Kopfschüttelnd sah er zu, wie der Desktop erschien. Nicht zu glauben, das
war das zweite Mal an einem Tag, dass sich Ludwigs These von der Dummheit der
Menschen bestätigte.
Und dort, mitten auf dem Desktop, damit man es auch auf keinen Fall
übersehen konnte, befand sich ein Dateiordner, der mit dem Namen
»Muller-Skandal« beschriftet war.
Ich machte es mir auf meinem Klappstuhl bequem … diese Lektüre
versprach interessant zu werden.
Herr Landvogt, stellte ich fest, war wahrscheinlich kein besonders
netter Mensch. Journalisten konnte ich ohnehin fast noch weniger leiden als
Anwälte, aber eines musste ich ihm lassen: Der Mann besaß gute Instinkte.
Während auf den anderen Speicherchips die rohen Bilddaten zu finden
waren, hatte Landvogt sich für seinen Artikel schon ein paar Perlen
herausgepickt. Ein Foto zeigte Stadtrat Muller in einem Park, in dem er sich
offenbar mit Anschütz getroffen hatte. Zwar wusste auch Landvogt nicht, um was
genau es gegangen war, aber die Körpersprache war eindeutig. Drohgebärden bei
Muller, steife Entschlossenheit bei Anschütz. Und warum war Landvogt hinter
Muller her? Offenbar hatte der Stadtrat Muller ein Interview verweigert und ihn
aus dem Büro werfen lassen.
Was Herrn Landvogt geradezu zu Höchstleistungen animiert hatte, denn
er musste während der letzten vier Wochen den Löwenanteil seiner Zeit darauf verwendet
haben, den Stadtrat zu beobachten.
Das nächste Bild zeigte einen anderen alten Bekannten, niemand
Geringeren als Lucio Valente, wie der sich mit Muller traf und ihm scheinbar
ein Foto zeigte. Valente grinste breit und schien den Moment zu genießen,
Muller wiederum zeigte Panik und Abscheu in etwa gleichem Maße.
Nach dem Zeitstempel hatte sich Muller keine zwei Tage später mit
Gernhardt getroffen, diesmal auf einem Autobahnrastplatz an der A5 … und einen
Tag später war Horvath dann in Frankfurt gelandet.
Allerdings war es Landvogt nicht gelungen, mehr über Gernhardt zu
erfahren. Dafür hatte er sich dann auf Lucio konzentriert. Er musste seinen
Spaß daran gehabt haben, dachte ich schmunzelnd, als ich die weiteren Bilder
durchforstete, denn Landvogt hatte einige erstklassige Bilder von Valentes
Mädchen schießen können, als
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