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Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Wolkenwand
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Besuch kommt. Ich wollte Sie
bitten, uns am späteren Abend zu besuchen.« Sie legte mir ihre knöcherige Hand
auf den Arm. »Bitte, Heinrich«, bat sie eindringlich. »Es ist wichtig. Für uns
alle.«
    Daran hatte ich so meine Zweifel. Aus irgendeinem Grund hatte ich
sogar gedacht, dass ihre Enkeltochter tot wäre. Hatte Frau Kramer nicht mal
irgendetwas in der Richtung gesagt? Egal. Ich war zu müde, um noch klar zu
denken.
    »Das kann ich nicht versprechen, ich habe heute Abend noch so
einiges vor.«
    Schöne Untertreibung.
    Frau Kramer schien enttäuscht zu sein, aber sie nickte tapfer.
»Versuchen Sie es. Oder kommen Sie morgen früh, sobald Sie es einrichten
können.«
    Aber klar doch. Am besten gleich
nachdem Gernhardt, Hu und der Ungar erledigt waren.
    »Um was geht es denn?«, fragte ich. »Ist es wirklich so wichtig?«
    »Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen«, meinte sie. »Aber ja.
Es ist wichtig. Sehr sogar. Für uns alle. Bitte, versprechen Sie mir, dass Sie
kommen?«
    »Ja«, seufzte ich. Falls ich dann noch am Leben war. »Kann ich jetzt
schlafen gehen?«
    »Natürlich, Heinrich«, strahlte sie. »Schlafen Sie sich aus. Sie
werden sehen, es wird alles wieder gut.«
    So langsam, dachte ich, als ich die Haustür aufschloss, wird die
alte Dame doch etwas seltsam. Ich öffnete die Tür, und George saß auf der
Schwelle, die Leine im Maul, sah mich an und wedelte mit dem Schwanz.
    »Du erwartest doch nicht etwa, dass ich jetzt mit dir Gassi gehe?«,
fragte ich ihn ungläubig.
    »Wuff!«

    Ana
Lenas Klopfen riss mich aus dem Schlaf. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass
sie nach Hause gekommen war. Ich warf einen Blick auf die Uhr, es war kurz vor
drei. Nachmittags.
    »Telefon«,
sagte sie und reichte mir den Apparat. »Eine Frau«, fügte sie mit vielsagendem
Blick hinzu.
    Es war Irina. »Du hast recht behalten«, teilte sie mir knapp mit.
»Sieh zu, dass du herkommst, es könnte interessant werden.«
    »Ui, das war ein kurzes Telefonat«, stellte Ana Lena fest und lehnte
sich gegen den Türrahmen, während sie mich neugierig musterte.
    »Es muss ja nicht jeder stundenlang telefonieren«, stichelte ich,
doch sie lachte nur. Offenbar war sie deutlich besserer Laune.
    »Wie geht es Nina?«, fragte ich.
    »Sie haben sie gestern Nacht noch einmal operiert. Jetzt schläft
sie. Aber es geht ihr besser, und sie kann beide Füße spüren und sogar bewegen.
Jennys Mutter sagt, es gibt Grund für vorsichtigen Optimismus. Was auch immer
das heißen mag.«
    »Schule?«, fragte ich, während ich nach frischen Socken wühlte.
    »Heute nicht«, antwortete sie schulterzuckend. »Irgendwie geht es
noch nicht. Aber ich werde schon nicht durchfallen. Ich geh ab nächsten Montag
wieder. Versprochen.«
    »Okay«, sagte ich. »Und jetzt raus hier, ich will mich anziehen.«
    Sie rührte sich nicht vom Fleck, sondern musterte mich nur auf eine
Art, die mir nicht gefiel.
    »Was ist?«, fragte ich sie.
    »Nichts«, sagte sie. »Doch … diese Narben. Sind das alles
Einschüsse?«
    Sechs Jahre hätte sie Zeit gehabt, ihre Neugier zu befriedigen, aber
ausgerechnet heute fiel es ihr ein. Mir wäre morgen lieber gewesen, aber wenn
es nach Gernhardt ging, kam ich dann vielleicht nicht mehr dazu, ihr eine
Antwort zu geben. Oder hatte noch ein paar mehr zukünftige Narben aufzuweisen.
    »Nicht alle«, sagte ich und zeigte auf eine Narbe an der Seite. »Die
habe ich abbekommen, als ich in deinem Alter mit dem Mofa in einen Zaun gerast
bin. Also denk dran, vorsichtig zu fahren.«
    »Mein Roller ist nicht frisiert«, teilte sie mir mit. Ich sah sie
überrascht an und sie lachte. »Mama hat es mir erzählt«, grinste sie, doch sie
rührte sich immer noch nicht vom Fleck. Sie schien über etwas zu grübeln.
    »Jaaa?«, fragte ich. »Gibt es sonst noch einen Grund, warum ich mich
nicht anziehen kann?«
    »Ja. Jenny hat mir erzählt, wie du mit Henri umgesprungen bist. Wenn
du ihn das nächste Mal siehst, kannst du ihm ein paar Knochen brechen? Bitte?«
    »So etwas ist strafbar«, erinnerte ich sie. »Das wäre
Körperverletzung.«
    »Ja, ebendeshalb«, sagte sie und lächelte etwas gezwungen. »Ich mach
dir einen Kaffee, ja?«
    Und damit zog sie die Tür hinter sich zu, und ich hörte, wie sie die
Treppe hinunterrannte.
    Es war Jahre her, dass sie mir einen Kaffee gemacht hatte. Na gut,
dachte ich. Erst Gernhardt und der Ungar. Danach dann schauen wir mal, ob wir
ihr nicht einen kleinen Gefallen tun können.

    Es
war eine dieser

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