Der Müllmann
Lagerhallen am Ostbahnhof. Die meisten von ihnen waren noch in
Benutzung, doch diese hier wurde wohl nur noch selten gebraucht. Gras wuchs in
den Fugen zwischen den Betonplatten, und die Farbe blätterte bereits ab. Auf
jeder zweiten Straßenlaterne, die in regelmäßigen Abständen entlang des verrosteten
Zauns standen, befand sich eine dieser alten monströsen Sicherheitskameras,
ebenfalls schon etwas angerostet und bewegungslos. Das Gittertor zum Gelände und
das Rolltor des Lagerhauses standen offen.
Ich befand
mich auf dem Dach eines anderen Lagerhauses, etwa dreihundert Meter entfernt,
es war höher gelegen als die anderen und bot einen guten Blick.
Neben mir lag Irina, ein Scharfschützengewehr lose im Anschlag, und
reichte mir ein Fernglas, das aussah, als stamme es aus Wehrmachtsbeständen.
Die Optik war gut genug, um Gernhardt zu sehen, der Umzugskisten aus einem
mitten in der Halle platzierten Container lud.
Sorgfältig suchte ich die Umgebung ab, aber weder Horvath noch sein
Ford Ka noch etwas anderes Ungewöhnliches waren zu erkennen.
»Er ist zum dritten Mal hier. Er lädt den Kombi voll und fährt drei
Straßen zu einem anderen Lagerhaus. Dort lädt er den Kombi wieder aus und kommt
dann gleich wieder zurück.«
»Irgendeine Idee, was sich in den Kisten befindet?«, fragte ich sie.
»Wir brauchen nicht zu raten, wir wissen es bereits«, sagte sie.
»Einer unserer Leute hat nachgesehen, als dein alter Freund zum zweiten Mal
hier packen ging. Jeder dieser Kartons ist vollgestopft mit gebrauchten Euroscheinen.
Jede Größe, vom Fünfer bis zum Fünfhunderter. Es müssen schon jetzt Millionen
sein, die er da zur Seite schafft.« So, wie sie es sagte, hätte sie auch über
das Wetter sprechen können. »Versuch mal, hinter den Container zu schauen, dort
hinten, an der rechten Seite. Wo die Reihe alter Spinde steht. Siehst du es?«
Ich richtete das Fernglas aus und sah die Spinde. »Am vorderen
rechten, unten am Boden.«
Es war schwer zu erkennen, aber es sah mir wie die Spitze eines
Schuhs aus.
»Er ist nicht allein?«
»Vom Dach nebenan kann man es besser sehen. Zwei Männer, gefesselt.
Sie bewegen sich allerdings nicht. Vielleicht sind sie betäubt. Oder tot. Du erkennst
den Schuh nicht wieder, nein?«
»Wohl kaum.«
»Tja«, sagte sie. »Wir werden dann wohl nachher erfahren, wer die
beiden sind. Hu und Horvath wären meine Lieblingswahl, aber irgendwie glaube
ich nicht daran.« Es klickte leise, als sie die Sicherung des Gewehrs umlegte.
»Ich kann ihn für dich wegpusten«, bot sie mir an. »Macht mir nichts aus. Oder
willst du es machen? Das Gewehr ist nicht nachzuverfolgen.«
Der Gedanke war verlockend.
»Nein danke«, sagte ich. »Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
»Und wenn du dich täuschst?«, fragte sie.
»Wenn, dann sag ich dir Bescheid, wo wir uns treffen«, versprach
ich. »Ich glaube, es wird hier geschehen.«
»Wie kamst du eigentlich darauf?«, fragte sie mich.
»Marvin hat das Lagerhaus irgendwann erwähnt. So nebenbei. Er hat
sich gewundert, wie dort Geld entwertet werden sollte, da er dort keine
Maschinen sah. Es hat eine Zeit lang gedauert, bis bei mir der Groschen fiel.«
Sie lachte leise. »Der Cent, meinst du wohl.«
»Richtig.« Ich sah durch das Fernglas zu, wie Gernhardt den letzten
Karton in den Kombi packte, den Wagen hinausfuhr, sorgfältig das Tor verschloss
und dann davonbrauste.
»Was meinst du, wissen seine Partner davon, dass er das Geld
kistenweise zur Seite schafft?«
»Wohl kaum«, meinte sie. »Aber wir«, fügte sie mit einem wölfischen
Grinsen hinzu. Wir sahen zu, wie Gernhardt um die Ecke abbog, und sie löste das
Gewehr von den Schultern. »Wir haben fast zwanzig Mann hier in der Gegend
verteilt. Alle außer Sicht, aber wir können in zwei Minuten da sein. Gute
Leute, die meisten ehemalige Soldaten. Aber zwei Minuten können lang sein.«
»Das ist mir klar«, sagte ich und gab ihr das Fernglas zurück. »Wenn
ich nachher nicht überlebe, dann lege ihn um.«
»Ich denke«, sagte sie und strich fast zärtlich über den Schaft
ihres Gewehrs, »dass sich das einrichten lässt.«
Auf
dem Weg zurück wäre ich beinahe noch Gernhardt über den Weg gelaufen, der
offenbar genug Millionen abgestaubt hatte und auf dem Weg woandershin war. Gott
sei Dank sah ich ihn noch rechtzeitig und konnte mich hinter einen Laster ducken.
Er hielt ein Handy an sein Ohr und schien mir recht entspannt. Und abgelenkt.
Deswegen nur
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