Der Müllmann
Chinesen auf, und wenn wir ihn nicht stoppen, stehen wir wieder
genauso dumm da wie zuvor. Ach ja. Und wir hätten gerne was auch immer es war,
was Lucio für uns gefunden hat. Lege Horvath um und besorge uns die Unterlagen.
Dann hast du ausgesorgt … und bekommst auch eine hübsche Rente.« Er sah mir
direkt in die Augen. »Wir wissen nicht, wen er als Nächstes angehen wird. Aber
wir wissen, dass er noch andere Ziele hat. Lucio hat für uns gearbeitet, Anschütz
war Buchhalter bei der Bundesbank. Lucio war ein Arschloch. Anschütz scheint sauber
zu sein, wir haben nicht die geringste Ahnung, warum man hinter ihm her war.
Aber seine Frau und die zwei Töchter hatten mit dem Scheiß nichts zu tun.
Vielleicht sprengt Horvath übermorgen einen Bus in die Luft, bringt Dutzende
von Unschuldigen um, nur um sein Ziel zu erwischen. Du kannst das verhindern.«
Schöner Versuch.
»Setzt jemand anderen auf Horvath an. Ich bin außer Dienst,
vergessen? Nehmt die Kleine, die für euch die Beine breitmacht. Oder«, fügte
ich gehässig dazu, »mach dir selbst die Finger dreckig.«
»Nein«, sagte Gernhardt und schüttelte den Kopf. »Wir kommen an ihn
nicht ran. Du schon.«
Ich sah ihn fragend an.
»Wieso soll ich an ihn herankommen und du nicht?«
»Weil er zu dir kommen wird.«
»Und warum das?«
»Weil er dich kennt.«
»Aha«, sagte ich. »Und woher bitte schön? Ich bin ihm noch nie über
den Weg gelaufen.«
»Aber er dir. Er war zwölf Jahre alt, als er zusehen durfte, wie du
seinem Vater das Licht ausgeknipst hast. Er hat jahrelang nach dir gesucht. Und
vor ein paar Tagen hat er dich gefunden. In einem Café, in dem er rein
zufälligerweise einen unserer V-Männer ausgeschaltet hat.« Gernhardt lehnte
sich zurück und erlaubte sich ein kleines selbstgefälliges Lächeln. »Siehst du,
Heinrich? Wir tun dir einen Gefallen. Du bekommst alle Vollmachten, die du
brauchst, um den Bastard zu schnappen. Erledige ihn, bevor er dich erledigt.
Natürlich kannst du die Hilfe deines besten Freundes auch ablehnen und darauf
warten, dass Horvath dich erwischt.«
»Warte mal«, sagte ich und hob abwehrend die Hand. »Was erzählst du
da?«
»Du erinnerst dich an Bregana? Der 2. Juli 1991?«
»Nur zu gut«, meinte ich. Ich wusste bis heute nicht, warum es so
wichtig gewesen war, die junge Frau sicher nach Österreich zu bringen.
»An den Scharfschützen, der Anna erschossen hat?«
Ja. So schnell würde ich das nicht vergessen. Sie war gerade ins
Auto eingestiegen, als die Kugel sie getroffen hatte. Ich hatte sogar noch den
Luftzug des Geschosses gespürt, als es an meiner Wange vorbeigeflogen war.
»Das war Horvaths Vater.« Ich begann zu ahnen, worauf das
hinauslief. »Du hast ihn erschossen. Unser Freund hat für seinen Vater
gespottet.«
Das passiert, wenn man seine Kinder in den Krieg mitnimmt. Ein
Zwölfjähriger, der für seinen Vater Ziele ausmacht? Ich schüttelte ungläubig
den Kopf.
Es war reiner Zufall gewesen, dass ich den Mündungsblitz aus den
Augenwinkeln wahrgenommen hatte. Dennoch, hätte es der Schütze bei dem einen
Schuss belassen, hätte ich ihn nicht ins Visier bekommen. Erst der zweite
Schuss, der, der mir selbst gegolten hatte, hatte seine Position verraten. Auf
fast vierhundert Meter Entfernung, durch Gebüsche und zwischen Bäumen hindurch,
in Deckung liegend, hatte er kaum damit rechnen können, dass ein reflexartig im
Stehen abgegebener Schuss ihn treffen konnte. Ich auch nicht, es war einfach
einer dieser Glückstreffer gewesen, die man nachher unmöglich erklären konnte.
»Das ist zwanzig Jahre her«, sagte ich. Was bedeutungslos war.
Manche Dinge verfolgten einen ein ganzes Leben lang.
»Tja«, sagte Gernhardt. »Ich fürchte, Horvath mag dich in etwa so
sehr wie du mich.«
Er schob mir einen dicken Briefumschlag über den Tisch.
»Weißt du«, sagte er. »Das Schöne daran ist, dass du mir nicht
vorwerfen kannst, daran schuld zu sein. Das hast du dir selbst eingebrockt. Die
Scheiße im Irak war schlimm, aber du hast es überlebt. Du bist sauber aus dem
Business rausgekommen. Sogar mit Versehrtenrente und allen anderen Ansprüchen.
Hast dir ein neues Leben aufgebaut, eine Firma, hast eine Nichte, die du
liebst. Du hättest dich nie mehr mit so etwas auseinandersetzen brauchen. Aber
du musstest es ja kaputtmachen. Du musstest für Irina und Alexej den Helden
spielen.« Er sah mir direkt in die Augen. »Weil du es brauchst. Weil du ein
Adrenalin-Junkie bist. Wie jeder von uns, der einmal
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