Der multiple Roman (German Edition)
Tal Coat, Masson und Bram van Velde –, die im Dezember desselben Jahres in der Zeitschrift
Transition
erschienen. Im Januar 1950 stellte er eine erste Fassung von
Der Namenlose
fertig. Und im November unterzeichnete er Verträge mit Editions de Minuit, welche die Veröffentlichung der drei französischen Romane
Molloy
,
Malone stirbt
und
Der Namenlose
regelten.
Dann begann die letzte Phase von Becketts vielsprachigem Erfindungsrausch. Am Heiligabend des Jahres 1950 schrieb er den ersten Text seiner letztendlich dreizehn »Textes pour rien« – die restlichen schrieb er allesam im darauffolgenden Jahr, 1951 . In jenem Jahr wurden auch die Romane
Molloy
und
Malone stirbt
veröffentlicht. Im Mai schrieb Georges Bataille voll des Lobes über
Molloy
. Am 5 . Januar 1953 fand endlich die Premiere von
Warten auf Godot
im Théâtre de Babylone statt (die englischsprachige Premiere sollte am 3 . August 1955 stattfinden). Einen Monat nach dieser Pariser Premiere veröffentlichte Alain Robbe-Grillet im Februar 1953 einen sehr positiven Beitrag über Beckett in
Critique
. Und im Mai erschien Becketts dritter Roman
Der Namenlose
– ein Roman, den Maurice Blanchot im Oktober mit einem langen Loblied in der
Nouvelle Revue Française
würdigen sollte. Der Erfolg, den seine Romane bei den Kritikern hatte, und der kommerzielle Erfolg von
Warten auf Godot
führten dazu, dass Beckett gegen Ende des Jahres 1953 seine Zeit damit verbrachte,
Watt
zusammen mit Daniel Mauroc aus dem Englischen ins Französische zu übersetzen und
Molloy
zusammen mit Patrick Bowles aus dem Französischen ins Englische. Schon im Juli 1954 war er zu dem Schluss gekommen, dass dieses Arbeitsverfahren für ihn nicht funktionierte und dass er die Übersetzungen selbst würde anfertigen müssen. Und so begann er damit,
Malone stirbt
ins Englische zu übersetzen, sobald er seine Korrektur von Bowles’
Molloy
abgeschlossen hatte. Weil die Übersetzung letztendlich eine Form der Überarbeitung war: Und die einzige Person, die den Text legitimerweise überarbeiten konnte, war Beckett selbst.
Am 8 . Oktober 1955 besuchte Beckett Joyces Grab in Zürich. Er war neunundvierzig Jahre alt. Er hatte fünfzehn Jahre und eine neue Sprache gebraucht, um seine ganz persönliche Form zu erfinden: eine bilinguale Abfolge von Texten, deren Gegenstand immer der Gleiche blieb: der völlige, absolute Gammler.
2
Aber um das Ausmaß von Becketts Erfindung würdigen zu können, muss der ideale panoramische Beobachter daher in der Zeit zurückgehen – um zu sehen, über welchen Weg Beckett schließlich bei seinem zweisprachigen Werk landete. Ja, in dieser Übung des Zeitreisens muss der Leser sich ins Paris von 1929 zurückversetzen, als Samuel Beckett gerade seinen Aufsatz »Dante … Bruno. Vico … Joyce« schrieb. Er war dreiundzwanzig. Das mag sich jung anhören, aber ich bin mir nicht sicher: Mit dreiundzwanzig ist man definitiv alt genug, um sein Lebenswerk zu beginnen.
Beckett begann seinen Aufsatz mit Giambattista Vico, dem neapolitanischen Historiker, oder Literaturtheoretiker, oder Anthropologen des achtzehnten Jahrhunderts. Dem neapolitanischen Antiquar. Von Vico übernahm Beckett zweierlei: die Vorstellung, dass Sprache furchtbar abstrakt geworden sei; und die, dass die Gesellschaft einen ständigen Prozess der Verderbnis und der Bildung durchlaufe. Vico hielt diese zwei Zustände für verwandt. Vico, schrieb Beckett, unterteilte die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in drei Zeitalter: das theokratische, das heroische und das humane, und jedes gehe einher »mit einer entsprechenden Klassifizierung der Sprache als einer hieroglyphischen (heiligen), metaphorischen (poetischen) und philosophischen (zur Abstraktion und Verallgemeinerung fähig)…« [609] In dieser philosophischen Ära bestehe die grundlegende Aufgabe des Schriftstellers deswegen darin, Wörtern wieder den Status von Hieroglyphen zu geben – oder, mit anderen Worten, Wörter endlich wieder zu ihrem »unmittelbaren Ausdruck« zu führen. »In ihrer ersten, stummen Form war Sprache Gebärde.« Aber dann wurde das Schreiben etwas, das von den direkten Äußerungen abgegrenzt war. »In solchem unmittelbaren Ausdruck sind Form und Inhalt untrennbar. Beispiele sind die Medaillen des Mittelalters, die keine Inschrift trugen und ein stummes Zeugnis der Schwäche konventionellen alphabetischen Schreibens waren: wie die Fahnen von heute.« [610]
Ein neuartiges Beispiel, fuhr Beckett fort, sei
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