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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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zusammenzustellen und sie ins Englische zu übersetzen. Beckett antwortete Kaun auf Deutsch, um ihm mitzuteilen, »Ringelnatz ist meiner Ansicht nach nicht der Mühe wert«:
    Ich habe die 3  Bände durchgelesen. 23  Gedichte ausgewählt und von diesen 2 als Probestücke übersetzt. Das wenige, was sie notwendigerweise dabei verloren haben, ist natürlich nur im Verhältnis mit dem zu schätzen, was sie eigentlich zu verlieren haben, und ich muss sagen, dass ich diesen Verschlechterungskoeffizient, auch da, wo er am meisten Dichter ist, und am wenigsten Reimkuli, ganz gering gefunden habe. [616]
    Dann zog Beckett eine Linie quer über die Seite und schrieb einen Absatz, der zu einem bekannten Beispiel der Selbstbeschreibung geworden ist:
    Es wird mir tatsächlich immer schwieriger, ja sinnloser, ein offizielles Englisch zu schreiben. Und immer mehr wie ein Schleier kommt mir meine Sprache vor, den man zerreißen muss, um an die hinterliegenden Dinge (oder das hinterliegende Nichts) zu kommen. Grammatik und Stil! Mir scheinen sie ebenso hinfällig geworden zu sein wie ein Biedermeier-Badeanzug oder die Unerschütterlichkeit eines Gentleman. Eine Larve. Hoffentlich kommt die Zeit, sie ist ja Gott sei Dank in gewissen Kreisen schon da, wo die Sprache da am besten gebraucht wird, wo sie am tüchtigsten missgebraucht wird. Da wir sie so mit einem Male nicht ausschalten können, wollen wir wenigstens nichts versäumen, was zu ihrem Verruf beitragen mag. Ein Loch nach dem andern in ihr zu bohren, bis das Dahinterkauernde, sei es etwas oder nichts, durchzusickern anfängt – ich kann mir für den heutigen Schriftsteller kein höheres Ziel vorstellen. [617]
    Beckett hatte genug von herkömmlichen Darstellungsweisen – so, wie es schon länger in der Malerei der Fall war. Anstelle der ordentlichen Strategien der gängigen Stile wollte Beckett Krach. Er wollte Wörter, die so leer waren wie die Dinge. »Denn im Walde der Symbole, die keine sind, schweigen die Vögelein der Deutung, die keine ist, nie.« [618] Falls der munter vor sich hin psychoanalysierende Leser noch irgendwelche Zweifel daran hatte, dass Joyce sogar in dieser Aussage präsent war, wenn auch in Form einer Umkehrung, dann lieferte Beckett das Beweismaterial hierfür netterweise selbst: »Mit einem solchen Programm hat meiner Ansicht nach die allerletzte Arbeit von Joyce gar nichts zu tun. Dort scheint es sich vielmehr um eine Apotheose des Wortes zu handeln.« Es sei wahr, fügte er hinzu, dass nicht alle Formen des Modernismus dem Weg Joyces folgten. Beckett hatte seine negativen Rivalen. (»Vielleicht liegen die Logographen von Gertrude Stein dem näher, was ich im Sinn habe. Das Sprachgewebe ist wenigstens porös geworden, wenn nur leider ganz zufälligerweise, und zwar als Folge eines etwa der Technik von Feininger ähnlichen Verfahrens.«) Aber der Kern dieser neuen Idee ist klar. Immer noch will Beckett, dass Form und Inhalt das Gleiche sind. Aber in diesem Fall werden die Wörter, weil das Thema die reine Verneinung ist, auch eine Verneinung sein. Die Form wird zur Leere – und in seinem Brief an Kaun sprach Beckett von »dieser, für mich sehr wünschenswerten Literatur des Unworts …« [619]
    Zu diesem Zeitpunkt hatte er immer noch ein Endprodukt im Kopf, das auf Englisch verfasst werden sollte – aber in einem entstellten Englisch. Und so beendete er seinen Brief düster, aber hoffnungsvoll: »Inzwischen mache ich gar nichts. Nur von Zeit zu Zeit habe ich wie jetzt den Trost, mich so gegen eine fremde Sprache unwillkürlich vergehen zu dürfen, wie ich es mit Wissen und Willen gegen meine eigene machen möchte und – Deo juvante – werde.« [620]
    In jenem Jahr, 1937 , verbrachte er Weihnachten mit den Joyces. Er war einunddreißig Jahre alt. Im folgenden Jahr wurde endlich sein Roman
Murphy
veröffentlicht. Aber er schrieb auch sein erstes französisches Gedicht. Am 3 . April 1938 schrieb er an seinen Freund Thomas McGreevy: »Ich habe das Gefühl, daß alle Gedichte, die da in Zukunft zustande kommen mögen, auf Französisch sein werden.« [621] Die Zukunft lag noch in weiter Ferne. 1939 begann er,
Murphy
zusammen mit Alfred Péron, mit dem er an der ersten Übersetzung von Joyces
Anna Livia Plurabelle
gearbeitet hatte, ins Französische zu übersetzen. Kurz danach brach der Zweite Weltkrieg aus.
    Im Juni 1940 verließ Beckett Paris mit seiner Partnerin Suzanne. Sie fuhren nach Vichy und trafen die Joyces. Es war das letzte Mal,

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