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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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[759]
    Der Sinn dieser Fehler ist nicht, dass Nabokov grausam zu seinen Figuren sein will; stattdessen will er nur seiner traurigen, aber richtigen Auffassung treu bleiben, dass dem menschlichen Tier zu keinem Zeitpunkt gestattet sein sollte, immer nur ernsthaft zu sein, unbefleckt durch Ironie. Aus »kosmisch« wird schnell »komisch«.
    »Mir fällt dabei eine Witzzeichnung ein«, schwelgte er, »auf der ein Kaminkehrer vom Dach eines hohen Gebäudes abstürzt, im Fallen bemerkt, daß auf einem Schild ein Wort falsch buchstabiert ist und sich während seines Absturzes fragt, warum es eigentlich niemand verbessert hat.« Ich verstehe, warum Nabokov diesen Cartoon so mochte: Er vereinigte zwei Motive seines Stils – den Rechtschreibfehler und die plötzliche Nebenbemerkung –, und gleichzeitig ist er eine überzeugende Beschreibung des wirklichen Lebens, in dem die Menschen Expertise und Berufsstolz haben. »Diese Fähigkeit«, schloss Nabokov, »ungeachtet einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr, Kleinigkeiten gegenüber sein Staunen zu bewahren, diese Randbemerkungen des Geistes, Fußnoten im Buch des Lebens, stellen die höchste Form des Bewußtseins dar, und wir wissen in diesem kindlichen spekulativen Bewußtseinszustand, der sich so sehr vom Alltagsverstand und dessen Logik unterscheidet, daß die Welt gut ist.« [760]
    Sogar die Beschreibung eines Todes kann hinreißend sein, wenn er durch Kunst beschrieben wird. Nichts ist nur grandios. Stattdessen ist der Roman eine Kunstform der Verkleinerung und der Komplizierung, die Verweisung von Gegenständen auf ihren eigentlichen kleinen Platz. Und dies ist ein Vorhaben, das nicht zu bändigen ist. Alle Kunst, selbst die traurigste, ist entzückt.

6
    Im Herbst des Jahres 1953 steigt Professor Pnin in Amerika an einem Ort namens Whitchurch aus dem Zug. Pnin, ein Professor am Waindell College befindet sich auf dem Weg nach Cremona, wo er eine Vorlesung halten soll. Er ist aber in Whitchurch ausgestiegen und nicht in Cremona, weil er aufgrund einer planerischen Fehlleistung den falschen Zug genommen hat. Daher hat ihm der Schaffner geraten, in Whitchurch auszusteigen, wo er einen Bus nehmen könne. Also tritt Pnin an diesem ungewöhnlich heißen Herbsttag »in eine Art Wartesaal« und vertraut seine Reisetasche einem »schwitzenden jungen Mann« an, »der auf dem breiten Holztresen vor sich Formulare ausfüllte«.
    »
Quittance
[Quittung]?« erkundigte sich Pnin, indem er das russische
kwitanzija
ins Englische übersetzte, wo ein anderes Wort (
receipt
) angebracht gewesen wäre.«
    »Was ist das?«
    »Nummer?« versuchte Pnin.
    »Nummer brauchen Sie nicht«, sagte der Bursche und nahm seine Schreibarbeit wieder auf. [761]
    Pnin verlässt den Bahnhof, isst zwei Schinken-Sandwiches und geht genau fünf Minuten vor vier zurück, um seine Tasche zu holen.
    Dort tat jetzt ein anderer Mann Dienst. Der erste war nach Hause gerufen worden, um seine Frau schleunigst in die Entbindungsklinik zu fahren. Er würde in ein paar Minuten zurück sein.
    »Aber ich muß meinen Koffer erhalten!« rief Pnin.
    Der Stellvertreter bedauerte, konnte aber nicht das geringste tun.
    »Da ist er!«, rief Pnin, lehnte sich vor und zeigte auf ihn.
    Das war ungünstig. Noch während er in die Ecke wies, wurde ihm klar, daß er die falsche Reisetasche forderte. Sein Zeigefinger schwankte. Dieses Zögern war verhängnisvoll.
    »Mein Bus nach Cremona!«, rief Pnin.
    »Um acht fährt noch einer«, sagte der Mann. [762]
    Der Vier-Uhr-Bus kommt gerade an. Pnin trifft eine spontane Entscheidung: Er lässt seine Tasche zurück, um sie auf dem Rückweg abzuholen. »In seinem Leben hatte er viele wertvollere Dinge verloren, vergeudet, vertan. Energisch, fast heiter bestieg Pnin den Bus.« Aber Pnin ist vor nichts sicher, nicht einmal jetzt. Sogar in der vermeintlichen Sicherheit des Busses geschieht eine neue Tragödie. Als der Bus anfährt, fällt ihm siedend heiß ein, dass die Papiere in seiner Tasche nicht seine Vorlesung enthalten, sondern stattdessen die Semesterarbeit über Dostojewskij und Gestalttheorie, die eine seiner wenigen guten Studentinnen geschrieben hatte: »Es war Bettys Referat.« [763]
    Die verlorene Reisetasche, die wiederholten Fehler: Dies sind die Beweise dafür, dass Pnins Geschichte, festgehalten von Vladimir Nabokov, wirklich ist. Das wirkliche Leben ist in diesem Roman
Pnin
eine Serie wiederholter Miniaturkatastrophen: eine formale Sequenz.
    Und wenn man so über Pnin in

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