Der multiple Roman (German Edition)
existiert – und so ist es unmöglich, zwischen den verschiedenen Ebenen der Realität zu unterscheiden – »sie sind alle wirklich; jedes Bild unseres Geistes ist eine Wirklichkeit und lebt …« [798]
Aber das Ewige ist natürlich auch nicht ganz wahr. Das Unendliche ist eine Erfindung. Und Macedonio wusste das auch. Denn wirklich versucht er nur, sich mit dem Metaphysischen zu trösten – voll Angst deswegen, weil jemand, der geliebt werden kann, auch sterben kann. Und so ist er fest entschlossen, sich als eine Person mit »einer Innenwelt« neu zu erfinden, »die so stark ist, dass keine Realität je die Macht der Traurigkeit oder Unmöglichkeit oder Einschränkung über ihn haben kann, die sie über jene hat, die es nicht vermocht haben, sich mit phantastischen Konstruktionen zu umgeben, die sie immer begleiten«. [799] Sein Spiel mit dem Konzept des Romans und der Romanform hat eine gewisse Leere und Melancholie, die aber seine Energiequellen sind. Denn was ist es, das die Ewigkeit kompensiert? Welcher Druck führt zu ihrer Erfindung? Die Antwort, lieber sterblicher Leser, liegt auf der Hand.
Das Einzige, was nicht sterben kann, sind Dinge, die noch keinen Anfang gefunden haben. Dies stimmt in Bezug auf Romane; aber auch in Bezug auf Menschen. Und weil dies wahr ist, geht es mit gewissen Schmerzen einher. Liebe, eine Bindung an ein sterbliches Tier, ist ein irrationales Vergnügen. Sie kann nur zu Schmerzen führen. In Macedonios Augen entwertet die Vergänglichkeit alle Freuden: »Suizid geschieht in Momenten des Glücks.« [800] Und trotzdem leben und lieben wir weiter.
Macedonios manisches und gramvolles Experiment mit der Fiktion ist als Reaktion hierauf zu verstehen: Denn wenn er den Leser zu einer Fiktion machen kann, wenn er abstreiten kann, dass irgendetwas wirklich lebt und stirbt, dann kann er auf diese Weise die Liebe als bedeutungsvolles Gefühl erhalten. Eigentlich dreht sich dieser leichte spielerische Roman um die schweren Gegenstände des Todes und der Liebe.
Und es ist wahr, dass Macedonio Fernandez seinen ganz persönlichen Grund dafür hatte, dieses Experiment durchzuführen. Ich könnte Ihnen die Geschichte seiner Autobiographie erzählen, die eine Geschichte des Schmerzes ist. Aber ich will Macedonio nicht in die übliche Geschichte von Buenos Aires einsperren. Denn seine Ideen waren sogar noch grandioser. In seinem
Museum
erfindet Macedonio Fernandez ein Labor, um zu erforschen, ob sich jede philosophische Frage mit den Bedingungen des Verliebtseins erklären lässt. Er untersucht, ob alle philosophischen Fragen nur dann bedeutungsvoll sind, wenn sie in ein Verhältnis mit menschlichen Beziehungen gebracht werden; ob alle Fragen der Endlosigkeit eigentlich Fragen über die Liebe sind. Eterna ist schließlich die Geliebte, und gleichzeitig ist sie selbst auch die Ewigkeit. »Mein Roman hat, mit anderen Worten, die heilige Berufung und folgt der Verlockung, das Wo zu sein, aus dem die Geliebte erscheinen wird, frisch, zurückgekehrt aus einem Tod, der sie nicht überwältigen konnte …« [801]
Und in wen ist der Schriftsteller verliebt, wenn nicht in den abwesenden Leser?
5
Und so kommt es, dass der Prozess, den wir Fiktion nennen, dass das Objekt, welches wir Roman nennen, dass jene Einheiten, die wir Figuren nennen, alle ersucht werden, sich den verschiedensten Transformationen zu unterziehen. Das Maß der Verspieltheit dieses Romans ist gleich dem seiner Traurigkeit. Wenn Macedonio seine Experimente wirklich ausführen könnte, wenn er den Leser tatsächlich dazu bringen könnte, seine eigene Wirklichkeit anzuzweifeln, dann könnte er vielleicht die Voraussetzungen für sein Glück schaffen. Aber das kann er natürlich nicht. Trotzdem sind seine Experimente absolut bezaubernd.
Ich meine, man muss es sich nur einmal vor Augen führen! Eine Figur kann eine unterbrochene Rolle spielen. Ein Roman kann überflüssige Figuren enthalten. Figuren können ursprünglich zu einem ganz speziellen Zweck ausgeliehen und dann spontan, einfach so, zum Vergnügen, behalten werden. Eine Figur kann flüchtig im Roman erscheinen, bevor sie ihren ersten offiziellen Auftritt macht. Und durch die Prologe entwickelt sich ein im Hintergrund vorgereifter Roman – »ein verängstigter General verweilt zögernd in der Dunkelheit der Kellertreppe eines Hauses mit Namen ›La Novela‹, während Eterna ihn führt. Sein Zittern veranlasst sie zu sagen: Aber General, halten Sie sich an meinem Rock
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