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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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fest und gehen Sie ganz sorglos, ich werde Sie schon nicht vom rechten Weg abbringen.« [802] Dieser Roman wird weiterhin »lose Seiten enthalten, eine absolute Neuheit bei Romanen, sowie auch eine Beispielseite und die Darstellung eines Tagesablaufs auf der Estancia ›La Novela‹, ein ganzes Ensemble ausrangierter Figuren und eine Art Praktikum für Figuren und eine abwesende Figur«. [803] Was den Roman selbst betrifft, findet Macedonio, solle er auf der Straße spielen:
    Es wäre noch besser, wenn ich »den Roman, der in die Straßen zog« umgesetzt hätte, ein Konzept, das ich einmal ein paar Künstlerfreunden vorschlug. So hätten wir wirklich die Unmöglichkeiten der Stadt vervielfältigt.
    Die Öffentlichkeit hätte beobachtet, wie sich unsere »Verschnitte von Kunst«, romanhafte Szenen, in den Straßen abspielen, die Menschen hätten Blicke aufeinander erhascht, zwischen den »Verschnitten der Lebendigen«, auf Bürgersteigen, in Eingängen, in Unterkünften, Bars, und die Öffentlichkeit stellte sich vor, sie sähe das »Leben«; es träumte den Roman in umgekehrter Reihenfolge: In diesem Fall ist das Bewusstsein des Romans seine Phantasie; sein Traum ist die externe Ausführung seiner Themen. [804]
    Meiner Meinung nach ist diese Phantasie von großer Bedeutung. Schließlich besteht einer der ältesten avantgardistischen Wünsche darin, einen Roman zu schreiben, bei dem es sich tatsächlich um eine Wahrheit handelt: dass die Kunst nur dann Wert hat, wenn sie aufhört, Kunst zu sein. Und Macedonio Fernandez war ein Anarchist. Er glaubte an Umgestaltungen. Die Art und Weise, wie sein Roman tatsächlich in die Straßen zieht, wohin der Präsident die Figuren aussendet, um eine Reihe kleiner Streiche zu spielen – »der Gebrauch von Streichen zum Zwecke der Eroberung« [805]  –, erinnert an Borges’ komische Hommage an Fernandez, »Der Mann, der Präsident sein wird«, dessen Plot sich damit beschäftigt, wie in Buenos Aires ein allgemeiner Nervenzusammenbruch durch die Vervielfältigung aller nur erdenklicher urbaner Ärgernisse heraufbeschworen werden soll: »Drehorgeln beendeten nie eine Melodie und brachen auf halben Wege ab; die ganze Stadt wäre voll mit unbrauchbaren Objekten, wie Barometern; die Handläufe in den Straßenbahnen wären gelockert, etc.« [806] Und alles hätte nur die Wahl von Fernandez zum Präsidenten zum Ziel.
    Der Roman, der in die Straßen zieht, ist ein Ideal des künstlerischen Selbstmords: eines Romans, der plötzlich aufhört, überhaupt ein Roman zu sein.
    Denn all seine Stilmittel sind dafür geschaffen, Verwirrung zwischen der Fiktion und der Wirklichkeit zu stiften. Und dies kann er nur in Kollaboration mit dem Leser erreichen. Der Roman selbst, schreibt er, muss durch seine Leser beendet werden, die dann selbst Figuren und unwirklich werden:
    Indem ich diese Gelegenheit schaffe, bestehe ich auf der Tatsache, dass die wirkliche Durchführung meiner Romantheorie nur von mehreren Personen erreicht werden kann, die zusammenkommen, um einen schwierigen Roman zu lesen, zu schreiben – so dass sie Leser-Figuren sind, Leser des anderen Romans und Figuren in diesem, erschaffen sich ununterbrochen als wirklich existierende Personen, nicht »Figuren«, als Gegenstücke der Figuren und Bilder im Roman, den sie selber gerade lesen. [807]
    Und der Leser ist auch auf noch tiefgehendere Weise eine Figur. Jeder Leser ist schließlich ein Springleser: ein ›herumspringender Leser‹. Niemand liest immer in der richtigen Reihenfolge. Aber da dieser Roman selbst nicht in einer bestimmten Reihenfolge geschrieben ist, wird der herumspringende Leser zu einem ordentlichen Leser. Freiheit entpuppt sich als Manipulation: Wir sind immer in der Hand einer höheren Macht – werden vom Schriftsteller selbst daran gehindert, gewisse Annahmen vorauszusetzen, vom Präsidenten über unsere Träume. [74]
    6
    Ich bin verliebt in die schiere Größe dieses Experiments: Aber natürlich stimmt das alles nicht so ganz.
    In einem sehr frühen Aufsatz »Die Nichtigkeit der Persönlichkeit« schrieb Borges, dass das Leben
»wahrhaftige Erscheinung«
sei: Es gibt keine profundere Wirklichkeit:
»Die Wirklichkeit bedarf zur Stützung keiner anderen Wirklichkeiten.«
[808] Und als weiteren Beweis zitierte er eine Zeile von Macedonio: »La realidad trabaja en abierto misterio.« [75]
    Diese Auflösung der Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit, zwischen Oberfläche und Tiefe ist das, was Anfang des

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