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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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Gogols Entwürfen finden, dann sticht die Präzision dieser komischen Soundeffekte noch klarer hervor, in Surround-Sound. Beim ersten Trio (Mokia, Sossia und Chosdadat) und dem zweiten Trio (Trefilius, Dula und Barachassius) unterschieden sich die Namen nicht so sehr. Aber das finale Duo bildeten im Entwurf die Namen Pavsikakhy und Frumenty. Und Frumenty ist als Name viel weniger lustig als Vakhtisy – er hat nicht die musikalische Wiederholung, das hässliche Aufeinanderprallen von Konsonanten, die Gogol in seiner Endfassung mit Pavsikakhy und Vakhtisy erreichte: Er ist viel zu normal und zu divers.
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    Wenn also ein formales Element eines Romans, wie beispielsweise eine Parodie, Teil seines beabsichtigten Effekts ist, dann wird es gleichzeitig Teil des von ihm beabsichtigten Inhalts – und muss daher in einer originalgetreuen Übersetzung nachgebildet werden. Aber sogar dies, was relativ logisch erscheint, wird noch etwas verwirrender: Aus chronologischen Gründen können Probleme mit der Übersetzung eines Effektes entstehen. Den parodistischen Effekt eines Textes zu übersetzen, der dem Leser vor 150  Jahren sehr radikal vorgekommen wäre, mag heute nicht einmal mehr als Effekt auffallen, wenn dieser Effekt mittlerweile völlig in die Geschichte des Romans assimiliert worden ist und dem Leser daher ganz normal oder sogar unspektakulär vorkommt. Was heißt, dass es letztendlich keine Möglichkeit gibt, eine reine Nachbildung anzufertigen. Dies ist nicht einmal möglich, wenn ein Roman sofort übersetzt wird – weil ein Effekt, der in einer Sprache normal ist, in einer anderen zum Beispiel revolutionär erscheinen mag. Sprachen und Literaturen befinden sich oft in ganz verschiedenen Zeitzonen.
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    Ich denke zurück an das Meer vor einem Sturm:
    Wie neidisch war ich auf die Wellen,
    die flossen, in ungestümer Folge,
    in Liebe sich zu legen ihr zu Füßen!
    Wie wünschte ich da, zusammen mit den Wellen
    die teuren Füße zu berühren mit den Lippen!
    Nein, niemals in den feurigen Tagen
    meiner aufbrausenden Jugend
    begehrte ich mit solcher Qual
    zu kosen die Lippen junger Armiden
    oder die Rosen flammender Wangen
    oder die Brüste voller Schmachten,
    nein, niemals hat die Aufwallung der Leidenschaften
    derart zerrissen meine Seele!
    Puschkin, Alexander:
Eugen Onegin. Ein Versroman
. (Aus dem Russischen von Sabine Baumann). Frankfurt am Main ( 2009 ): Stroemfeld Verlag. S.  82 – 3 .
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    Und dieser Name muss selber auch übersetzt werden. Im Russischen war es während des neunzehnten Jahrhunderts Brauch, dass ein Adeliger, der ein uneheliches Kind gezeugt hatte, diesem den hinteren Teil seines Namens geben durfte, quasi als Anerkennung von dessen Stellung. Die Nachkommen von Prince Repnins unehelichen Kindern durften sich also Pnin nennen.
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    Was Nabokov in gewisser Weise an die Motivmontagen von Eisenstein oder besonders von Dsiga Wertow erinnern lässt – dessen »Kino-Augen«, wie er darlegte, das sehen konnten, was »nicht völlig ungesehen ist, aber dem Blick entgeht, übersehen wird«. Aber dann schenken Wertows Filme, wie zum Beispiel
Der Mann mit der Kamera
, oft nur in soweit alltäglichen Motiven Aufmerksamkeit, als diese nicht einzigartig sind. Und so sind seine formalistischen Filme Fabriken für banale Wiederholungen. Denn Wertows Vorstellung davon, was ein Motiv oder eine Einheit darstellt, deckt sich nicht mit Nabokovs spitzer Einzigartikeit. Wertow: »Zu bearbeiten; der Kamera zu entreißen, was am eigentümlichsten, am nützlichsten ist, vom Leben zu einer bedeutungsvollen rhythmischen visuellen Ordnung …« Es ist das Adjektiv
bedeutungsvoll
, das wirklich tödlich ist.
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    Genau wie Karl Roßmann in einem müßigen Moment im Hotel Occidental, als er von dem Chefkoch interviewt wurde, erklärte, er sei erst seit Kurzem in Amerika. Er komme, sagte er, aus Prag in Böhmen. Und die Chefköchin rief, »in einem Deutsch mit sehr starkem englischen Akzent«, dass sie somit Landsleute seien: ihr Name sei Grete Mitzelbach. Sie stamme aus Wien. Ein halbes Jahr lang, erzählte sie ihm, hatte sie in der Goldenen Gans am Wenzelsplatz gearbeitet. »›Wann ist das gewesen?‹, fragte Karl. ›Das ist schon viele Jahre her.‹ ›Die alte Goldene Gans‹, sagte Karl, ›ist vor zwei Jahren niedergerissen worden.‹ ›Ja, freilich‹, sagte die Oberköchin ganz in Gedanken an vergangene Zeiten.«
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    Wo waren sie nur alle hin, klagte Bohumil Hrabal 1990 , als er noch in Prag war, im

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