Der multiple Roman (German Edition)
oder neunmal wiederholt. So dass die Fahnen einer Beschreibung von Joyces Freundin und Verlegerin Sylvia Beach zufolge »alle mit den Joyceschen Raketen und Myriaden von Sternen geschmückt [sind], die die Setzer zu Worten und Sätzen ringsum am Rand hinleiten sollen. Joyce sagte mir, ein Drittel des
Ulysses
habe er auf Fahnen geschrieben.« [153]
Das also war
Ulysses
: Es gab die als Fortsetzungsroman erschienene Fassung, die auch durch drei Korrekturläufe gegangen war. Und dann wurden die Druckfahnen für das Buch noch mindestens dreimal revidiert – insgesamt manchmal sogar bis zu elf- oder zwölfmal. Dies ist ein Beispiel dafür, welche multiplen Anstrengungen ein Autor aufwenden kann, um seine Komposition zu überarbeiten. Die Essenz ist und bleibt das Detail.
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Als Nabokov vor seinen amerikanischen Studenten über
Ulysses
dozierte, betonte er besonders die Auffälligkeiten der Denkprozesse in Joyces Roman: »Dieses Buch ist eine von Joyce erfundene neue Welt, in der die Menschen mittels Worten und Sätzen denken. Ihre Assoziationen werden vorwiegend von den Strukturbedürfnissen des Buches diktiert, von den künstlerischen Absichten und Plänen des Autors.« [154] Joyce, so Nabokovs Argument, verwendete Sprache, um etwas darzustellen, das eigentlich gar nicht sprachlich war: die unvorhersagbaren Bewegungen des Bewusstseins. Während dies ein vernüftiger Vorbehalt ist, spiegelt er doch wider, dass Joyces Methode nicht ganz verstanden worden war. Joyce wollte seine Wörter nie dazu bringen, für Gedanken einzustehen – in der Hoffnung, dass es niemand bemerken würde. Seine Methode basierte im Gegenteil vielmehr auf der Vorstellung, dass Menschen ebenso verbal sind: Ihr Bewusstsein ist ebenso wenig originell. Unser Gehirn ist ein Notizbuch, es ist ein Koffer. Jeder hat seinen eigenen Secondhand-Stil.
Die künstlerische Kunstlosigkeit von Joyces Form geht Hand in Hand mit der unkünstlerischen Kunstlosigkeit des Tages seiner Helden.
In einem Essay für die
Mercure de France
bemerkte Ezra Pound, dass Joyce einfach systematisch die Anführungszeichen aus seinem Text entfernt habe, und behauptete, der innere Monolog sei schlichtweg innere Rede, ohne Anführungszeichen – »voilà tout«. [155] Aber vielleicht passiert sogar etwas noch Seltsameres. Denn Joyces Roman ist ein weiterer Entwicklungsschritt in der Tradition des collagenartigen Romans. Ihm liegt die Idee zugrunde, dass es, da die Wahrnehmungen der Menschen durch linguistische Gewohnheiten und geborgte Stile konditioniert sind, akkurater ist, keine Anführungszeichen zu setzen. Der überflüssige Quatsch, der in so vielen Gesprächen produziert wird, ist dem Müll, der in der Welt der Gedanken anfällt, viel ähnlicher, als Anführungszeichen vielleicht suggerieren.
»Ich bin ganz zufrieden damit, von der Nachwelt als Mann mit Schere und Kleister erinnert zu werden«, schrieb Joyce an den amerikanischen Komponisten George Antheil – »denn mir scheint das eine harte, aber nicht ungerechte Beschreibung zu sein.« [156]
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Und so machte Joyce, als er seinen Roman in Paris abschloss, zwei Dinge gleichzeitig: Er schrieb die letzten Episoden, und er überarbeitete die Episoden, die er bereits geschrieben hatte. Als er begann, das Buch zu beenden, fand er – so wie auch Dujardin –, dass der innere Monolog das perfekte Werkzeug sei, um wiederholbare Motive zu schaffen. Bei den letzten Episoden und während er die Fahnen überarbeitete, wurden diese Motive dann mit immer mehr Details ausgeschmückt.
Beispielsweise wurde Leopold Bloom am 23 . Mai 1904 von einer Biene gestochen. Im druckfertigen Manuskript tauchte dieser Bienenstich bereits in zwei Episoden auf. Im September 1921 fügte Joyce ihn noch in die letzte Episode ein – »Pfingstmontag ist auch ein verfluchter Tag kein Wunder, dass ihn die Biene stach« – dann im Oktober auch noch in die vorletzte – »Er drückte mit zwei Fingern die um eine Narbe in der linken Infrakostalregion unter dem Zwerchfell gelegene Haut zusammen, welche von einem Stich herrührte, der ihm zwei Wochen und drei Tage zuvor ( 23 . Mai 1904 ) von einer Biene zugefügt worden war.« Und dann nahm er ihn auch noch in frühere Episoden auf, so dass der Bienenstich letztendlich fast im gesamten Verlauf des gewaltigen Romans immer wieder auftaucht:
»Ruhige Gärten haben ihre Nachteile. Diese Biene, oder dieser Brummer hier Pfingstmontag.«
»Netter junger Student, der diesen Stich behandelte, von der
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