Der multiple Roman (German Edition)
ist natürlich etwas Kompliziertes. In Paul Valérys »Brief über Mallarmé« kommentiert Valéry: »Richtet man sein Augenmerk auf die Weise der Erzeugung von Ergebnissen, so beobachtet man in der Kunst wie in der Wissenschaft, daß stets das Machen das Gemachte wiederholt – oder widerlegt.« »Wir nennen einen Autor originell«, schloss Valéry, »wenn wir von der heimlichen Verwandlung der anderen in ihm nichts wissen.« [415] Valéry zufolge gibt es so etwas wie völlige Originalität nicht. Originalität ist nur ein Attribut, das wir Schriftstellern anhängen, deren Lektüren verdeckt sind. Während ich diese arglose Akzeptanz des universellen Phänomens der gegenseitigen Wiederholungen bewundere, bin ich nicht sicher, ob ich ganz einverstanden bin. Vielleicht ist diese Theorie von Paul Valéry auf zu einfache Weise wissenschaftlich, auf zu selbstgefällige Weise reduktiv. Ja, vielleicht ziehe ich die Größe von Vladimir Nabokov vor, der auf den Vorwurf, sein Werk beinhalte zu viele Wiederholungen, antwortete: »Epigonale Schriftsteller wirken vielseitig, weil sie viele Autoren kopieren, ältere wie zeitgenössische. Das künstlerische Original hat niemanden, den es kopieren könnte, ausgenommen sich selbst.« [416]
Aber schließlich kommt es darauf an, was ein Selbst ist. Es kann lange dauern – es kann ein Leben lang dauern – bis ein Autor ein Werk geschaffen hat, einen vollständigen Stil.
3
Fünf Jahre nach
Der Mann in der Schwebe
brachte die im Mai 1949 erschienene Ausgabe der Zeitschrift
Partisan Review
eine Erzählung Bellows mit dem Titel »A Sermon by Doctor Pep«. Darin versuchte Bellow sich an einer neuen Art, Sätze zu schreiben. Er versuchte, Ernsthaftigkeit auf offensichtlichere Weise lustig darzustellen. Dadurch war sein neuer Stil ein wenig angerissen, schwindelig, jazzig, mit Sätzen wie diesem: »Da ich Hamburger nun einmal erwähnt habe, werde ich von ihnen aus direkt zu meinen Themen, Krankheiten und Gesundheit und gute und schlechte Ernährung überleiten, auf der Basis meiner Lektüre der Schriften von Galenus und Hippokrates und sogar von noch früheren Werken.« [417] Dies schuf eine clownische Qualität, durch die Kombination von zwei Dingen, die Bellow zuvor auseinandergehalten hatte – das Gelehrige und das Lebensnahe; Hamburger und Hippokratiker. Denn obwohl »A Sermon by Doctor Pep« sich fast nach Bellow anhört, obwohl sich die Erzählung fast so anhört, wie sich Bellow in seinem dritten Roman
Die Abenteuer des Augie March
anhören sollte, war sie noch nicht ganz da. Obwohl sie versuchte, cool zu sein, war sie zu wortreich, zu gewollt gelehrig. Sie war zu abwehrend. Ihre wichtige Erneuerung war kein Stil, sondern ein Charakter – der gelehrte Gangster, dessen großes Beispiel Augie March sein sollte, ein autodidaktischer Räuber, der die Bücherregale anvisierte – »Es war ein großer Plato von Jowett, den ich nahm.« [418] Aber die redefrohe Stimme fehlte immer noch. Es gab großen Wortreichtum, aber die Sätze waren zu syntaktisch steif, zu bemessen. Der Ton war zu bedeutungsschwer. Diese »Predigt« war eine Predigt.
In der Literaturgeschichte ist das Problem des Jetlags bekannt, das ist wohl wahr; aber dieses Problem der Zeitverzögerung kommt auch in der Geschichte eines individuellen Schriftstellers vor. Es mag komfortabler sein, wenn alles auf einmal auftaucht – das Subjekt und die Figuren und die Sätze: die ganze Komposition –, aber dies ist nicht immer der Fall. Die richtige Figur mag auftauchen, aber ohne den Stil, in dem sie ausgedrückt werden muss. Oder der Stil ist da, aber ohne etwas, über das es sich schreiben ließe.
Stil ist, mit anderen Worten, ein Multiple.
Mehr als ein Jahr später enthielt die November/Dezember-Ausgabe der
Partisan Review
aus dem Jahre 1950 einen Beitrag von Bellow mit dem Titel »The Trip to Galena«. Ein Sternchen wies den Leser auf eine Bemerkung am Fuße der Seite hin: »Hierbei handelt es sich um ein Kapitel aus einem Roman, der sich in der Entstehung befindet und den Titel
The Crab and the Butterfly
tragen wird.« [419] »The Trip to Galena« handelt von zwei Genesenden, Weyl und Scampi, die sich in einem Krankenhaus unterhalten. Aber nein, das ist keine ganz genaue Beschreibung. In »The Trip to Galena« redet Weyl, und Scampi hört zu. Und Weyl ist ein richtiger Bellowier – er kann reden, keine Frage – »Was sagst du? Deine Füße sind Schuhe gewöhnt; deine Herren und Meister geben dir das Paar
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