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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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Welt als auch in früheren Reinkarnationen.« [440]
    Stil ist nicht nur linguistisch. (Ein stilsicherer Mensch kann ein schlechter Stilist sein.) Ein Stil ist etwas anderes. [46]
    9
    In
Die Abenteuer des Augie March
wurde Bellows Stil zu seinem eigenen Exzess. Und dieser Versuch der Einbeziehung ist das Seltsamste an Bellows Stil. Stile schließen meistens aus: Sie wissen genau, was nicht zu ihnen passt. Bellow hingegen musste sich das Gegenteil beibringen, da sein Ansatz eine antrainierte Ablehnung von Stil war. Er musste lernen, ein Schatzsucher zu sein, kein Intellektueller. Und das ging nur, indem er seinen bisherigen Stil umgestaltete. So dass er jetzt Monster-Similes benutzte: »›Du warst nicht darauf aus zu schießen, nicht wahr?‹, fragte ich. Er griff, beinahe wie eine Frau, die sich ein ›runtergerutschtes Trägerband hochzieht und eine Schulter anhebt, unter die Achsel in den Ärmel.« [441] Oder Sätze, die mit zielgerichteten Adjektiven vollgestopft waren – alles »war so reich, so satt, samtig und schmetterlingshaft«. [442] Oder meine Lieblingsstelle, seine Beschreibung von Durchfall: »Ich hatte noch immer Dysenterie, und morgens fühlte ich oft das schwere Hängen der Gedärme, das mich aufs Klo, Caligulas alten Horst, rasen ließ.« [443] (Ein schweres Hängen, im Gegensatz zu Caligulas, des Adlers, »geraden, schweren Exkrementstrahl«.) [444] Dieses dichte Netzwerk der Details bedeutete, dass sich Bellows großartige Ideen letztendlich im Wald verliefen. Denn auf genau diese Weise verlieren Ideen ihre Ernsthaftigkeit – wenn sie so sehr in ein Netzwerk eingebettet werden, dass sie nicht mehr generell anwendbar sind. All ihre Ambitionen werden untergraben – widerlegt von anderen Elementen der unendlichen Collage, die ein Roman ist.
    Gegen Ende des Buches sagt Augies Freund Clem Tambow zu ihm:
    Mir scheint’s, als ob du ein Vornehmheitssyndrom hast. Du kannst dich mit der Wirklichkeit nicht abfinden. Ich kann es dir direkt ansehen. Du willst, daß es Menschen gibt, unterstrichen, mit großer Haltung. Da wir seit unserer Kindheit Freunde sind, kenne ich dich und weiß, was du denkst. Erinnerst du dich, wie du täglich zu uns kamst? Aber ich weiß, was du dir wünschst. O
padeia
! O König David! O Plutarch und Seneca! O Ritterlichkeit! O Abt Suger! O Strozzipalast, o Weimar! O Don Giovanni, o ihr Konturen erfüllter Sehnsucht! O göttlicher Mensch! Sag mir, Freund, hab’ ich recht oder nicht? [445]
    Und dabei handelt es sich um wahre Selbstkritik von Bellow. Alle Ernsthaftigkeit wird hier auf den Arm genommen. Bellows großartige Erfindung in
Augie
ist, dass er sich wiederholt, in immer höherer Geschwindigkeit – um seine ernsthaften Spleens zu intensivieren, sie zu vergrößern und sie so seltsam und ulkig erscheinen zu lassen. Die Ideen in
Augie
sind alle da, weil Augie Ideen mag. Er teilt die nette Idee des jungen Bellow, dass Ideen eine gute Idee sind. Und deswegen ist
Die Abenteuer des Augie March
eine Komödie.
    »Ziemlich bald schon werde ich nicht mehr angreifbar sein«, sagte Bellow, nachdem
Augie
erschienen war, »und ich werde philosophische Texte schreiben können, wie Tolstoi.« [446] Und er hatte recht. Er hatte es geschafft – er konnte philosophische Texte schreiben, die gar keine richtige Philosophie waren. Stattdessen war alles Slapstick. In Paris hatte er seinen eigenen, auf präzise Weise zerfransten Stil erfunden: sein amerikanisches Stand-up. Er hatte gelernt, nur sich selbst zu imitieren. Und so machte er sich an das Projekt seiner gesammelten Werke. Denn dies ist ein weiteres Merkmal seiner Originalität. Nachdem Bellow seinen Freistil entdeckt hatte, musste er lernen, diesen Freistil zu vervielfältigen.

6 Zwei druckknopfförmige Hommagen an Bohumil Hrabal

7 Kurze Theorien der Vervielfältigung

Wiederholen
    1
    1939 schrieb Jorge Luis Borges in Buenos Aires eine Geschichte mit dem Titel »Pierre Menard, Autor des
Quijote
«, welche die Form eines Aufsatzes imitiert. In ihr beschreibt Borges das hypothetische Leben von Pierre Menard, einem fiktiven Dichter und Philosophen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, dem Autor zahlreicher Gedichte, Übersetzungen und Traktate – und vor allem auch von einer unveröffentlichten Fassung von Cervantes’
Don Quijote
. Als er starb, schreibt Borges, bestand Menards Manuskript »aus dem Neunten und dem Achtunddreißigsten Kapitel des Ersten Teils des
Don Quijote
und aus einem Fragment von Kapitel Zweiundzwanzig«.

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