Der Musentempel
einen Moment lang zum Schweigen, bevor Rufus schließlich einwilligte und die anderen, um nicht feige zu wirken, der Wette ebenfalls zustimmten. Hermes beugte sich vor und goß meinen Becher voll. »Woher willst du denn zweitausendfünfhundert Denarii nehmen?« flüsterte er mir ins Ohr.
»Keine Angst. Du kannst schon anfangen zu überlegen, wie du sie mir stehlen willst.«
Als wir am großen Serapeion vorbeikamen, sahen wir, wie die Menschen sich auf die Treppe flüchteten, so dicht war das Gedränge in diesem Teil der Stadt. Das mußte, dachte ich, mehr sein als das Ergebnis eines kursierenden Gerüchts. Es hatte bestimmt einiger Vorplanung bedurft, um diese Menschenmenge an diesem Tag hier zu versammeln. Die ganze polyglotte Gemeinde Alexandrias war auf den Beinen, Menschen jedweder Nationalität waren anwesend, um das Spektakel zu erleben, aber die überwiegende Mehrheit waren Ägypter, mehr noch, als man selbst in einem Viertel wie Rhakotis vermutet hätte. Die meisten sahen aus wie Bauern vom Lande, aber es waren auch etliche Stadtbewohner aus Kaufmanns-, Handwerker- und Skribentenkreisen zugegen. Die einzige Gruppe, die geradezu auffällig fehlte, war die Priesterkaste der traditionellen Gottheiten, obwohl einige von ihnen der Veranstaltung verkleidet beiwohnen mochten, was für einen ägyptischen Priester bedeutete, daß er seinen Umhang aus Leopardenfell ablegte und eine Perücke aufsetzte.
Bei unserer Ankunft strömten die Ministranten und Priesterinnen aus dem Tempel des Baal-Ahriman und drängten den Pöbel beiseite, um Platz für die königliche Gesellschaft zu schaffen. Dann warfen sie sich zu Boden und jaulten Jubelgesänge zu Ehren der Prinzessin und der königlichen Familie. Als wir schwankend aus unserer Sänfte stiegen, stimmten sie kreischend ungleich moderatere Lobpreisungen auf Rom im allgemeinen und uns im besonderen an. Wir wateten knöcheltief durch Blüten über das Pflaster und die Stufen zum Tempel hinauf.
Auf dem steinernen Sockel spielten Musiker, während Tänzerinnen umherwirbelten und ihre knappen weißen Kleidchen fliegen ließen. Die Musik war ein ohrenbetäubender Krach, aber die Tänzerinnen waren ein durchaus erholsamer Anblick. Wir versammelten uns auf dem oberen Treppenabsatz und erwarteten Ataxas' Erscheinen. Ich bemerkte Achillas und drängelte mich in seine Nähe.
»Der General läßt seine militärischen Pflichten zugunsten seines Seelenheils ruhen?« fragte ich.
»Wenn man ein Diener des Königs ist«, antwortete er, »muß man den Launen der Prinzessin Folge leisten.«
»Sonst hätte dich wohl nichts hierher gezogen, wie?
Irgendeine Ahnung, was der alte Baal-Ahriman sagen wird?«
Er runzelte die Stirn. »Wie sollte ich das wissen?«
»Wußtest du«, sagte ich, meinen Schwips ein wenig übertreibend, »daß ein Mann, dessen Beschreibung auf dich paßt, noch kurz vor dem Mord in Iphikrates' Kammer gesehen wurde?«
»Willst du mich eines Verbrechens bezichtigen?« Sein lederner Brustharnisch knarrte vor Anspannung.
»Ich möchte nur die Früchte meiner bisherigen Ermittlung mit dir teilen.«
»Römer«, zischte er förmlich und machte einen Schritt auf mich zu. »Es gibt viele, die deine Arroganz und deine Einmischung in unsere Angelegenheiten satt haben. Ohne Typen wie dich wäre Ägypten besser dran. Und dein Verschwinden ließe sich leicht arrangieren.«
»Aber, General Achillas«, sagte ich, »man könnte fast deine Loyalität gegenüber der prorömischen Politik König Ptolemaios' in Zweifel ziehen.«
»Nimm dich in acht, Senator«, sagte er. »Ein Caestus und ein fintenreicher Schlag werden nicht reichen, um mit mir fertig zu werden.«
Ich hatte ihn bis zur Grenze dessen, was ich wagen konnte, provoziert. »Sieh!« sagte ich und wies auf den eintreffenden Ataxas. »Das Schauspiel beginnt!« Achillas zog sich zurück.
Dies war ihm offenbar noch wichtiger als unsere Fehde.
Ataxas schritt aus dem Tempel wie ein Schlafwandler. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und sein langer, lockiger Bart zitterte, als sei ihm eine göttliche Heimsuchung zuteil geworden. Seine Augen waren verdreht, die Pupillen nach innen gewendet, so daß nur das Weiße zu sehen war, vielleicht ein weiterer Grund für seine vorsichtige Gangart. Direkt vor uns blieb er stehen, und alles verfiel in Schweigen.
»Der große Baal-Ahriman wird sprechen!« brüllte er.
»Kommt herein, die ihr auserwählt seid!« Er drehte sich um und schlafwandelte ins Innere des Tempels
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