Der Nachbar
Kartoffel, wenn sie wüssten, dass er mit den Bullen telefonierte. Und dabei war es sowieso umsonst. Der Rettungswagen würde nicht an den Straßensperren vorbeikommen.
Er tippte 9-9-9 ein.
>Meldung an alle Polizeidienststellen
>NOTRUFLEITUNGEN üBERLASTET
>28. 07. 01
>14 Uhr 49
>Bassindale
>Jennifer Monroe, Nightingale Health Centre, meldet, dass Ärztin von Hollis, Humbert Street 23, als Geisel genommen worden ist.
>Vergewaltigung befürchtet
>Derzeitiger Mieter des Hauses Humbert Street 23: Milosz Zelowski
>Vermutlich alias Hollis
>NOTRUFLEITUNGEN üBERLASTET
>AKTUALISIERUNG: Streifenwagen 031 meldet weiterhin Blockade aller Zufahrtsstraßen
>Verhandlungen laufen weiter
>Meldung an alle Polizeidienststellen
>28. 07. 01
>14 Uhr 53
>Bassindale
>Anonymer Anrufer erbittet Hilfe für verletzte Polizeibeamtin
>Verbindung mit Notarzt hergestellt
>So weit bekannt ist Constable Hanson die einzige Kollegin, die sich in der Gegend aufhält
13
Vor dem Haus Humbert Street 23
Unter den Leuten kursierte ein Gerücht, es hätte jemand, kurz bevor der erste Stein geflogen war, ein Kind an der Haustür des Pädophilen gesehen. Wie beim ‘Stille-Post’-Spiel war aus »eine kleine zierliche Frau mit einem schwarzen Koffer« im Nu »ein kleines Mädchen mit schwarzen Leggings« geworden, womit die Behauptung, Amy sei am Tag zuvor in der Humbert Street gesehen worden, bestätigt schien. Es war ja eigentlich auch ganz logisch. Wo hätte die Kleine anders sein sollen als im Haus eines Mannes, der bis vor zwei Wochen in Portisfield ihr Nachbar gewesen war?
Es gab reichlich Hinweise, an denen sie hätten erkennen können, dass sie im Irrtum waren:
Die jungen Leute, die seit Tagen »Perverser, Perverser« grölten, hatten an diesem Tag um halb drei Uhr eine Frau ins Haus gehen sehen.
Die Nachbarn von Haus Nummer 23 hatten am Morgen einen Streifenwagen mit mehreren Polizeibeamten vorfahren sehen, die Milosz Zelowski befragt und sein Haus ohne Ergebnis vom Keller bis zum Dachboden durchsucht hatten.
Ein Auto mit einem ‘Arzt’-Aufkleber auf der Windschutzscheibe, das ein Stück straßabwärts abgestellt worden war, stand mehr als eine Stunde später immer noch da.
Es war doch höchst unwahrscheinlich, dass ein vorbestrafter Pädophiler sein Opfer dem Auge der Öffentlichkeit preisgeben würde.
Aber der Menge fehlte es an Einigkeit. Es gab zu viele verschiedene Gruppen und zu viele Anführer. Jeder wollte eine Stimme haben. Die Jugend wollte Krieg. Die Alten wollten Respekt. Die Frauen wollten Sicherheit. Einzig in ihrem Schlachtruf, »Raus mit den Perversen«, waren sie sich einig, und am lautesten schrien die halbwüchsigen Mädchen, die so viel getrunken hatten wie ihre Freunde, aber weniger vertrugen. Wie die Fischweiber stachelten sie in ihrer Trunkenheit die Burschen zu immer aggressiverem Handeln an.
Hinterher würden sie alles, was sie getan hatten, mit der Pauschalentschuldigung rechtfertigen, sie hätten nur »Amy schützen« wollen. Niemand bezweifelte, dass der Pädophile sie in seinem Haus festhielt. Sie war in der Humbert Street gesehen worden. Sie war an seiner Haustür gesehen worden. Wenn man überhaupt jemandem Vorwürfe machen konnte, dann den Behörden. Es hätte keinen Ärger gegeben, wenn man nicht den bereits schwer geplagten Einwohnern der Siedlung auch noch die Pädophilen aufgehalst hätte. Niemand wollte sie haben. Warum sollten ausgerechnet die Leute von der Acid Row sie aufnehmen, wo vor allem allein erziehende Mütter mit ihren Kindern lebten? Wer außer den Frauen selbst konnte oder wollte denn die Kinder vor Perversen schützen?
Ganz gewiss nicht die Polizei, denen doch zur Rettung von Kindern und Jugendlichen nichts Besseres einfiel, als sie hinter Schloss und Riegel zu bringen.
Melanie stieß Leute auf die Seite und stürmte über die Straße zu ihrem vierzehnjährigen Bruder und seinen Freunden, die Betonplatten und Backsteine aus der niedrigen Mauer rund um den winzigen Garten vor ihrer Maisonette brachen. »Hey, was macht ihr da?«, schrie sie erbost und packte Colin beim Arm, um ihn wegzuziehen. »Das ist das einzige Stück Garten, wo die Kinder spielen können. Wer soll das hinterher wieder richten, kannst du mir das mal sagen? Von euch tut's doch bestimmt keiner.«
»Ach, hör auf!«, fuhr Colin sie ärgerlich an und riss sich von ihr los. »Das wolltest du doch, oder nicht? Den Perversen mal 'n bisschen einheizen.« Er lachte befriedigt, als Wesley Barber es springend
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