Der Nachbar
etwas wissen, was bei der Suche nach ihr helfen kann, müssen Sie es uns sagen.«
»Sie können nur leider per Telefon nicht beweisen, dass Sie von der Polizei sind, und ich kann mir eine Verleumdungsklage nicht leisten. Woher weiß ich, dass Sie nicht von der Presse sind?«
Ihre Einwände waren berechtigt, trotzdem konnte er nicht verstehen, wie jemanden das Schicksal eines Kindes so kalt lassen konnte. »Schön, dann klären wir das doch Schritt für Schritt. Ich gebe Ihnen die Nummer des Hotels in Puerto Soller. Der Direktor spricht gut Englisch und ist bereit, für die Begleichung der Rechnung zu sorgen und sich um einen Rückflug für Francesca zu kümmern, wenn Sie ihm am Telefon Ihre Kreditkartennummer geben. Außerdem gebe ich Ihnen die Nummer der hiesigen Zentrale. Wenn Sie hier anrufen, können Sie sich über mich erkundigen und mir eine Nachricht mit der Bitte um Rückruf hinterlassen. Ist das akzeptabel?«
Diesmal war der Seufzer unverkennbar. »Nein, eigentlich nicht.«
»Aber sie ist doch Ihre Tochter, Mrs Gough.«
Ein leises Lachen antwortete ihm. »Ich weiß, und ich wollte, ich könnte sagen, dass sie es nicht ist. Dann brauchte ich mir vielleicht nicht solche Vorwürfe zu machen. Haben Sie Kinder, Inspector? Stehlen sie? Trinken sie? Gehen sie mit jedem x-Beliebigen ins Bett? Nehmen sie Drogen?« Es waren rein rhetorische Fragen. Sie wartete die Antworten nicht ab. »Ich habe an Francescas achtzehntem Geburtstag fünftausend Pfund hingeblättert, um Handy- und Versandhausrechnungen zu begleichen und ihre Schulden bei den Eltern zweier Freundinnen von ihr zu bezahlen, deren Kreditkartennummern sie wiederholt benutzt hatte, um Waren über das Internet zu bestellen. Das, was sie mir persönlich gestohlen hat, habe ich abgeschrieben und ihr eine eigene Wohnung gemietet, um ihr die Chance zu geben zu zeigen, dass sie Verantwortung übernehmen kann. Als Gegenleistung für das alles musste sie mir versprechen, in Zukunft selbst mit ihren Probleme fertig zu werden und den Studienplatz anzunehmen, den man ihr angeboten hatte. Stattdessen gondelt sie mit dem Ex-Mann meiner besten Freundin in der Weltgeschichte herum und behauptet, ich wäre nur sauer, weil ich eifersüchtig bin.« Sie legte eine Pause ein. »Nun mal raus mit der Sprache, Inspector. Was würden Sie an meiner Stelle tun, wenn ein Polizeibeamter sie anriefe und Ihnen mitteilte, dass ihre Tochter in der Patsche sitzt – wieder einmal!«
Tyler gab ihr eine aufrichtige Antwort. »Ich würde mich an die Abmachungen halten.«
»Danke.«
»Aber ich bin nicht an Ihrer Stelle, Mrs Gough. Ich bin geschieden – schon länger als ich verheiratet war – und habe keine Kinder. Meine gesammelten Erfahrungen mit jungen Mädchen in Francescas Alter erschöpfen sich in der Tatsache, dass ich viele wegen Diebstahls und Prostitution festnehmen musste, als ich noch bei der Streife war.«
Wieder trat ein kurzes Schweigen ein. »Und?«
»So weit ich mich erinnere, war nicht eine darunter, die ich nicht mindestens zweimal festgenommen habe. Im Durchschnitt kamen auf ein Mädchen fünf oder sechs Festnahmen. Jede von ihnen beteuerte, sie würde es nie wieder tun – aber alle waren sie schon wenige Tage nach ihrer Freilassung wieder auf dem Strich, weil es schneller und einfacher ging, sich das Geld für Alkohol oder Drogen mit Diebstahl und Prostitution zu beschaffen, als von dem Hungerlohn, den sie an der Kasse im Supermarkt hätten verdienen können, was zu sparen.«
Sie war kein Mensch, der mit Worten schnell bei der Hand war. »Ich verstehe nicht, worauf Sie hinaus wollen«, murmelte sie nach einer Weile.
Ihre Redepausen irritierten ihn. »Ich will damit sagen, dass es ohne einen starken Anreiz schwer ist, Gewohnheiten aufzugeben. Wenige von uns schaffen es gleich beim ersten Versuch. Wie oft wollten Sie schon das Rauchen aufgeben?«, fragte er ganz direkt. »Einmal? Zweimal? Sagen Sie sich jeden Morgen beim Aufwachen, heute pack ich es?«
Wieder seufzte sie. »Ich hoffte, Eigenverantwortung zu übernehmen, wäre ihr Anreiz genug.«
»So weit ist sie noch nicht.«
»Sie ist achtzehn!«
»Benimmt sich aber wie eine Zwölfjährige, und eine Zwölfjährige setzt man nicht in eine eigene Wohnung.« Er schaute auf die Uhr. Franny und ihre Problem würden warten müssen. Er hatte jetzt keine Zeit für diese Diskussion. »Also, ich gebe Ihnen jetzt auf jeden Fall die Nummern, und Sie tun, was Sie für richtig halten. Aber ganz gleich, wie sie sich
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