Der Nachbar
Meine Freunde nennen mich Eileen. Wollen wir? Ich habe drinnen Verbandzeug. Und eine Waschgelegenheit ist auch da.«
Der Rollstuhl gehörte offenbar ihr. Sie hielt sich an seiner Armlehne fest und hinkte, ein Bein nachziehend, neben ihm her, als Jimmy James die Polizistin in die Wohnung schob.
»Ich habe mir vor zwei Jahren die Hüfte gebrochen«, erklärte sie, »und bin seitdem nicht mehr so recht sicher auf den Beinen. – Kommen Sie, hier«, sagte sie, die Tür zum Schlafzimmer aufstoßend. »Legen Sie sie aufs Bett. Ich will mal sehen, ob ich nicht das Blut aus ihrem Haar herauswaschen kann. Hat der Notarzt Ihnen erklärt, wie Sie sie legen sollen?«
»Ja.« Er musterte den Bettüberwurf mit den gerüschten Volants und die dazu passenden Kopfkissen. »Ich glaub, das nehm ich vorher lieber ab«, sagte er und griff zu, um das Bett abzuziehen.
Sie gab ihm einen scharfen Klaps auf die Hand. »Nein.«
»Aber es wird doch ganz voll Blut«, warnte er. »Schauen Sie mich an.« Er wies auf seine Kleider. »Meine ganzen feinen Klamotten im Arsch.«
Sie beantwortete den derben Ausdruck mit einem tadelnden Zungenschnalzen. »Ich muss in diesem Bett schlafen«, erklärte sie ihm. »Die Tagesdecke kann ich zur Not wegwerfen.«
Die Logik ihrer Erklärung blieb ihm verschlossen. »Das ist doch aber ein gutes Stück. Warum legen wir die Frau nicht einfach auf ein Laken, dann brauchen Sie hinterher nur das Bett frisch zu machen.«
»Weil ich das nicht kann«, entgegnete sie unwirsch und hob ihm von Arthritis verkrüppelte Hände entgegen. »Ich habe eine Hilfe, die jede Woche einmal vorbeikommt und es für mich erledigt, aber sie kommt erst am Freitag wieder. So sieht das Alter nun leider mal aus. Man ist darauf angewiesen, dass andere für einen tun – und meistens mehr schlecht als recht –, was man vor ein paar Jahren noch sehr gut selber erledigen konnte. Sie haben keine Ahnung, wie frustrierend das ist. Manchmal möchte ich am liebsten laut schreien.«
Er schob sie sanft zur Seite und zog das Bett bis auf das unterste Laken ab. »Ich mach's Ihnen nachher wieder«, sagte er. Vorsichtig hob er die Polizistin aus dem Rollstuhl und bettete sie auf die Matratze.
»Ha! Bis der Rettungswagen kommt, sind Sie doch längst über alle Berge«, behauptete Eileen, als wüsste sie es. »Jetzt, wo Sie die Verantwortung los sind, bleiben Sie garantiert keine Sekunde länger, als notwendig.«
Sie hatte natürlich Recht. »Ich hab ne schwangere Freundin und die ist mit ihren zwei Kindern irgendwo da draußen in dem ganzen Getümmel unterwegs«, erklärte er. »Ich muss sicher sein, dass ihnen nichts passiert ist.« Er sah die Enttäuschung in ihrem Blick. »Um welche Zeit gehen Sie normalerweise zu Bett?«, fragte er.
»Um neun.«
»Dann bin ich auf jeden Fall vor neun wieder da. Abgemacht?«
»Wir werden sehen.« Sie beugte sich über die junge Frau auf dem Bett und suchte den Puls an ihrem Hals. »An solche Abmachungen glaube ich erst, wenn sie erfüllt sind.« Sie wies zu einem Badezimmer linker Hand. »Da drinnen ist eine Waschschüssel und eine Schale mit Watte und einem Desinfektionsmittel. Und im Schränkchen über dem Waschbecken liegt eine Rolle Verband. Lassen Sie warmes Wasser in die Schüssel laufen und bringen Sie mir alles hier raus. Wenn Sie vorher den Nachttisch freimachen und ihn ein Stück nach vorn ziehen, können wir ihn als Arbeitstisch benutzen.«
Er tat, worum sie ihn gebeten hatte, und sah dann zu, wie sie daran ging, das verklebte Haar zu reinigen. »Sind Sie Krankenschwester?«
»Ich war's einmal, vor langer Zeit, bis die Kinder kamen. Später habe ich als freiwillige Helferin bei der St. John Ambulanz gearbeitet.«
»Wusste der Notarzt daher, dass Sie helfen würden? Er sprach von irgendeinem Verein namens ‘Hallo Freundschaft’.«
»Das ist ein Telefonklub für Leute, die nicht außer Haus gehen können«, erklärte sie, während sie Watte in der Blechschüssel anfeuchtete. »Wir rufen zum Beispiel regelmäßig alle diejenigen an, die schlecht beisammen sind, und wenn sich niemand meldet, alarmieren wir den Rettungsdienst. Ich gehöre zu den Organisatoren, daher wussten sie dort meine Nummer.«
»Das hört sich an, als wären Sie ne echte Heilige.«
»Um Gottes willen, nein, ich quassle einfach gern.« Sie blickte kurz auf und lachte über sein Gesicht. »Ganz recht, über die guten alten Zeiten und die Gedankenlosigkeit der jungen Leute von heute. Ich nehme an, Sie sind auch nicht anders.
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