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Der Nachbar

Titel: Der Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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ihr halfen. Sie zerrten den Jungen von der Feuersbrunst weg und warfen zusätzliche Kleidungsstücke auf ihn hinunter, bevor auch sie weggeschleift wurde und jemand auf ihren Kopf einzuschlagen begann.
    »Du blöde Kuh!«, stieß ihr Bruder schluchzend hervor, als er ihr Gesicht zu Boden drückte und sich über sie warf. »Deine ganzen Haare brennen.«
Im Haus Humbert Street 23
    Franeks Faust traf Sophie direkt auf den Wangenknochen, ein wuchtiger Schlag, der ihr Hirn durcheinander rüttelte. So gewaltig, dass sie hintenüber gestürzt wäre, hätte nicht die Wand im Rücken sie aufrecht gehalten. Der Instinkt trieb sie zur Gegenwehr, obwohl keine Aussicht bestand, dass sie damit irgendetwas erreichen würde. Ein zweiter Schlag würde ihr das Bewusstsein rauben. Sie wehrte sich mit der einzigen Waffe, die sie zu Hand hatte, dem Stuhl, den sie mit aller Kraft nach vorn, ihm gegen die Knie stieß.
    Es steckte keinerlei vernünftige Überlegung hinter ihrem Tun – sie war viel zu benommen zum Denken –, aber als er getroffen aufstöhnte, fiel ihr die Vase wieder ein. Zurückschlagen oder sterben. Sie packte die Vase beim Hals und zerschmetterte sie an der Wand, ehe sie zum verzweifelten Sensenstrich gegen ihn ausholte. »Sie Schwein!«, schrie sie und zog ihm die messerscharfen Kanten übers Gesicht.
    Er griff sich an die Augen, Blut strömte, und noch einmal schwang sie den abgebrochenen Vasenhals, der die Haut seiner Finger durchschnitt wie die Fettschicht auf einem Stück Schweinebraten. »Kommen Sie mir nicht zu nahe!«, brüllte sie, die andere Hand mit um den Flaschenhals legend, um eine beidhändige Rückhand zu schlagen. »Bleiben Sie mir vom Leib!«
    Diesmal verfehlte sie ihn ganz. Der Vasenhals flog ihr aus der Hand und zersprang an der gegenüberliegenden Wand. Sie war wie eine Rasende. Sie fluchte. Sie kreischte. »Schwein! Schwein! Schwein! Krepieren sollen Sie!«
    Sie wollte nach dem Cricketschläger greifen, um ihm damit den Schädel zu spalten, als sein Sohn sie um die Körpermitte packte und wegzerrte.
    »Aufhören! Aufhören!«, schrie Nicholas. »Wollen Sie ihn denn umbringen?«
    Sophie umschloss den Schläger mit der einen Hand und zog mit der anderen den Stuhl wieder zu sich heran, baute ihre Abwehr neu auf, lauernd wie ein Falke, scharfäugig wie ein Wiesel. Sprechen konnte sie nicht, weil sie keine Luft bekam. Wie zuvor bei Franek stauten sich Adrenalin und Panik in ihrer Brust und blockierten die Sauerstoffzufuhr. Aber in ihrem Hirn kreiste ein Schrei des Hasses: Ja! Ja! Ja!
    Nicholas versuchte, seinem Vater die Hände von den Augen zu entfernen, aber der alte Mann leistete Widerstand, während er sich leise wimmernd hin und her wiegte.
    »Ich glaube, Sie haben ihn geblendet«, sagte er, sich Sophie zuwendend.
    Sie hob den Schläger über ihren Kopf, entschlossen, ihn augenblicklich herabsausen zu lassen, wenn er näher kam.
    »Ich will Ihnen nichts antun«, beteuerte Nicholas und breitete die Hände zu einer Geste der Beschwichtigung aus. »Aber das ist doch alles Wahnsinn. Warum müssen Sie ihn immer wieder provozieren?«
    Sie stand stocksteif da und ließ ihn nicht aus den Augen.
    Draußen begannen Menschen voll Entsetzen zu schreien.
Humbert Street 9
    Gaynor hörte die Schreckensschreie an ihrem Platz vor Mrs Carthews Haustür. Einen Moment sah sie auf, weil sie glaubte, Melanie zu hören, aber das Knattern eines Motors irgendwo in der Ferne lenkte sie ab. »Hier passiert irgendwas«, berichtete sie Ken Hewitt über ihr Handy, während sich einer nach dem anderen an ihr vorbeidrängte.
    »Was denn?«
    »Ich weiß es nicht. Leute schreien«, sagte sie geängstigt, »und ich höre einen Motor. Kann es sein, dass jetzt endlich die Polizei kommt?«
    »Das glaube ich nicht.« Es folgte eine kurze Pause, während der sie nur das Geräusch seines Funkgeräts vernahm. »Ich komme im Moment nicht durch«, sagte er dann ruhig. »Machen Sie einfach weiter, Gaynor. Wie viele haben Sie bisher rausbugsiert?«
    »Keine Ahnung. Fünfzig vielleicht. Es ginge schneller, wenn wir immer zwei auf einmal durchlassen würden. Sie fangen jetzt an zu drängeln.«
    »Tun Sie das nicht«, warnte er eindringlich. »Da verlieren Sie sehr schnell die Kontrolle.«
    Aber die Warnung kam zu spät.
    Die gellenden Schreie am anderen Ende der Straße, wo die Menge in hellem Entsetzen vor dem lichterloh brennenden Benzin floh, stürzten die Menschen an Gaynors Ende der Straße in eine Panik, die wie ein Buschfeuer um sich

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