Der Nacht ergeben
Wagen in gemäßigtem Tempo um eine Ecke. Die Stadt war dunkel, sehr dunkel. Nur in wenigen Häusern flackerten Laternen, Kerzen oder Taschenlampen. Die meisten Menschen warteten im Dunkeln ab und hatten Todesangst. »Ein paar Vamps wollten in den Bus kommen, wahrscheinlich auf der Suche nach einem kleinen Imbiss, aber es kam gar nicht zu einem richtigen Kampf. Bisher fahren sie ohne große Schwierigkeiten herum. Es geht ihm gut, Claire.« Sie griff nach Claires Hand, um sie zu drücken. »Dir wohl nicht so. Du siehst furchtbar aus.«
»Danke. Sehr liebenswürdig.«
Eve zog ihre Hand zurück, um das große Lenkrad des Wagens zu drehen. Scheinwerfer glitten über eine - unnatürlich blasse und stille - Gruppe auf dem Gehweg. »Oh, Shit, wir haben Besucher. Na warte, die mach ich fertig.«
Eine fantastische Idee, fand Claire, denn die Vampire auf dem Gehweg waren plötzlich auf der Straße und folgten ihnen. Sie verfolgten das Auto mit einer Art manischer Freude, aber nicht einmal ein Vamp konnte es mit Eves Fahrweise auf Dauer aufnehmen; einer nach dem anderen blieb in der Dunkelheit zurück. Der letzte war der schnellste und fast hätte er den Kofferraum zu fassen bekommen, aber dann stolperte er und blieb in einer schwarzen Abgaswolke zurück.
»Verdammte Freaks«, sagte Eve und versuchte, dabei abgebrüht zu klingen, aber sie schaffte es nicht ganz. »Hey, Hannah. Wie laufen die Geschäfte?«
»Im Moment?« Hannah lachte leise. »Nicht so fantastisch, aber ich mache mir keine Sorgen. Schauen wir erst mal, ob wir bis zum Morgen überleben. Danach zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie ich mit der Werkstatt über die Runden komme.«
»Oh, wir überleben schon«, sagte Eve mit einer Zuversicht, die Claire selbst überhaupt nicht spürte. »Sieh mal, es ist schon vier Uhr. Noch ein paar Stunden und alles ist okay.«
Claire sagte nicht, in ein paar Stunden könnten wir alle tot sein , aber sie dachte es. Was war mit Amelie? Was würden sie unternehmen, um sie zu retten?
Wenn sie überhaupt noch am Leben ist.
Claire hatte Kopfschmerzen, aus Schlafmangel juckten ihre Augen und sie wollte sich eigentlich nur in einem warmen Bett zusammenrollen, das Kissen über den Kopf ziehen und nicht diese Verantwortung tragen.
Nicht sehr wahrscheinlich.
Sie achtete nicht darauf, wohin Eve fuhr. Es war sowieso draußen so dunkel und seltsam, dass sie gar nicht sicher war, ob sie irgendetwas erkennen würde. Eve hielt am Bordstein vor einer Reihe Glasfenster an, die innen von Kerzen und Laternen erleuchtet wurde.
Mir nichts, dir nichts waren sie am Common Grounds angelangt.
Eve sprang auf der Fahrerseite heraus, öffnete die hintere Tür und packte Myrnin unter den Armen, wobei sie die ganze Zeit »igitt, igitt, igitt!« murmelte. Claire schlüpfte aus dem Wagen, um ihr zu helfen, und Hannah ergriff Myrnins Füße, als sie auf dem Pflaster aufschlugen. Zu dritt trugen sie ihn in das Café.
Claire wurde augenblicklich von zwei Vampiren aus dem Weg gedrängt: Von Oliver und einer Frau, die sie nicht kannte. Oliver sah finster aus, aber das war eigentlich auch nichts Neues. »Legt ihn hin«, sagte Oliver. »Nein, nicht da, ihr Idioten, dort drüben, auf das Sofa. He ihr! Weg da!«Letzteres galt den verängstigten Menschen, die auf besagtem Sofa saßen. Sie stoben davon wie Hühner. Eve machte weiter mit ihrem Igitt -Mantra, als sie und Hannah Myrnin hinüberhievten und ihn mit dem Gesicht nach unten auf die Sofakissen legten. Er hatte inzwischen etwa die Farbe einer fluoreszierenden Glühbirne - bläulich weiß und kalt.
Oliver kauerte sich neben ihn und schaute sich den Pfahl an, der in Myrnins Rücken steckte. Er legte die Fingerspitzen aneinander und schaute dann zu Claire auf. »Was ist passiert?«
Sie nahm an, dass er irgendwie wusste, dass es ihr Pfahl war. Na wunderbar. »Ich hatte keine Wahl. Er ist auf uns losgegangen.« Das uns mochte eine Übertreibung sein; eigentlich war er auf Hannah losgegangen. Aber am Ende hätte er sich auch auf Claire gestürzt; das wusste sie.
Sie wand sich einen Moment lang unter Olivers Blick, dann sah er wieder Myrnins reglosen Körper an, der wie ein Leichnam dalag. Der Bereich, in den der Pfahl eingedrungen war, sah sogar noch blasser aus als das umliegende Gewebe, so als wäre hier ein Sog, der alle Farbe aus ihm heraussaugte. »Hast du etwas von der Medizin dabei, die du ihm immer verabreicht hast?«, fragte Oliver. Claire nickte und kramte in ihrer Tasche. Sie hatte noch einige
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