Der Nachtschwärmer
wieder Vorkommen soll.«
Ich hatte einen Schluck Wasser getrunken und setzte das Glas jetzt wieder ab. »Dann gehen Sie davon aus, dass der Entführer die drei Frauen ins Moor geworfen hat.«
»Ja, das tue ich.«
»Und welchen Sinn sollte das gehabt haben?«
»Weiß ich doch nicht.« Er hob seine breiten Schultern. »Ich kann nicht sagen, was im Kopf dieses Verrückten vor sich geht. Der ist doch völlig von der Rolle.«
»Er muss nicht verrückt sein.«
»Ach, das sagen Sie, weil Sie aus London kommen und überhaupt keinen Einblick haben.« Er schaute mich aus seinen hellen Augen eindringlich an. »Ich sage Ihnen noch mal, dass wir nichts gefunden haben. Gar nichts, nothing . Keine Fingerabdrücke, die uns weiterhelfen könnten.«
»Es gibt auch den genetischen Fingerabdruck.«
»Klar, Mr. Sinclair, davon habe ich auch gehört. Ich lebe nicht hinter dem Mond, damit Sie Bescheid wissen. Aber das ist noch nicht fertig. Man arbeitet daran. Die Ergebnisse werden auch kommen. Wann das sein wird, kann ich ihnen nicht sagen.«
»Aber die Zeugen«, sagte Bill...
»Nein, nein, die sind verrückt. Die laufen irgendwelchen Hirngespinsten nach. Es gibt sie, aber sie sind mir egal. Ich habe hier kein fliegendes Monster gesehen, keinen so genannten Nachtschwärmer. Das ist mir alles zu hoch.«
»Schließen Sie es denn aus?«
»Weiß ich nicht.«
Der Kollege hatte aufgegeben, weil er einfach überfordert war. Ich konnte ihm nicht mal einen Vorwurf machen, denn auch mir wäre es möglicherweise in seiner Lage nicht anders ergangen.
Aber ich war auch jemand, der die Dinge, über die Rudin lachte, ernst nahm. Ich kannte mich aus, und das war auch bei Bill Conolly der Fall. Deshalb hatten wir uns auch daran festgehakt, denn für uns war der Nachtschwärmer keine Utopie.
»Außerdem ist es ja nicht hier passiert«, sagte der Kollege. »Sie müssen runter an die Küste fahren. Die Bewohner von Penare können Ihnen sicherlich mehr sagen.«
»Dort gibt es auch das Blindenheim«, sagte Bill.
»Klar.« Rudin lachte plötzlich. »He, denken Sie daran, irgendwelche Blinden als Zeugen zu holen. Das kann doch nicht ihr Ernst sein.«
»Finden wir es im Ort?«
»Nein. Außerhalb.«
»Sie wissen mehr darüber?«
»Ich kenne nur den Leiter des Heims. Im Zuge der Ermittlungen haben wir auch ihn befragt. Er ist ein außergewöhnlicher Mann, der sich für seine Schützlinge wirklich einsetzt. Aber auch er konnte uns leider nicht helfen.«
»Danke, Mr. Rudin«, sagte ich, »dann fahren wir mal runter und schauen uns vor Ort um.«
»Gern. Aber ich bezweifle, dass Sie mehr finden als unsere Mannschaft. Es sei denn, sie glauben an Gespenster und Ungeheuer, wobei ich mich sowieso frage, warum gerade Sie und damit Scotland Yard Interesse an dem Fall haben.«
Ich sagte ihm nicht die Wahrheit. »Wir bekamen einen Hinweis.«
»Meinetwegen. Wenn Sie was gefunden haben, lassen Sie es mich bitte wissen.«
»Werden wir.«
Bill und ich standen auf und bedankten uns für die Hilfe. Dann verließen wir das Revier, das in einer schmalen Seitenstraße der Stadt St. Austell lag.
»Hilfreich war dein Kollege nicht eben«, beschwerte sich Bill, als er die Wagentür aufzog.
Ich zuckte die Achseln. »Was willst du machen? Er war frustriert, das ist es.«
»Wäre ich auch gewesen.«
Auch ich stieg in den Rover und setzte mich auf den Fahrersitz. Dann fragte ich Bill: »Was hältst du denn von der Sumpf-Theorie?«
»Nichts und viel.«
»Erkläre mir das.«
Bill lächelte mich von der Seite her an. »Das ist doch ganz einfach. Man kann einen Menschen im Sumpf für immer verschwinden lassen, man kann ihn aber auch verstecken. Solange keine tote junge Frau gefunden worden ist, müssen wir davon ausgehen, dass er sie auch für seine Zwecke eingesetzt oder missbraucht hat.«
»Du meinst den Nachtschwärmer?«
Bill gähnte. »Klar.«
Er glaubte ebenso daran wie ich. Aber Glauben heißt nicht Wissen, und deshalb mussten wir ihn finden. Eine verdammt harte Aufgabe, aber wir würden nicht kneifen.
Wir waren sehr früh losgefahren und hatten uns auf der langen Strecke mehrmals abgewechselt. So konnte der Beifahrer schlafen, was Bill und ich auch ausgenützt hatten, nur schien Bill nicht lange genug geschlafen zu haben, denn er gähnte auch weiterhin.
»Mach dich doch lang«, schlug ich ihm vor.
»Nein, jetzt kann ich auch nicht schlafen. Nicht auf den letzten Meilen.«
Das traf zu, denn es war nicht mehr weit bis zu unserem eigentlichen Ziel.
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