Der Nachtschwärmer
sich um blinde junge Leute handelte.
Ich lenkte den Rover dorthin, wo schon einige Autos parkten, die sicherlich den Mitarbeitern gehörten.
»Was ist dieser Paul Erskine für ein Typ?«, fragte ich meinen Freund.
»Ich kenne ihn nicht. Das habe ich dir schon mal gesagt. Als Sheila und ich dort waren, hatte er auswärts zu tun.«
» Sorry , das hatte ich vergessen.«
»Du wirst eben alt.«
»Du nicht auch?«
Bill grinste. »Klar. Aber ich fühle mich nicht so.«
»Dann kannst du ja im Garten mitspielen.«
Er gab mir keine Antwort mehr, denn ich ließ den Wagen ausrollen. Wir hatten uns nicht angemeldet, denn die überraschenden Besuche bringen oft mehr.
Wir sahen eine verschlossene Eingangstür, aber einige offen stehende Fenster. Wir hörten auch Stimmen und Musik. Beides klang in der schwülen Luft lauter und klarer als gewöhnlich. Am Himmel hatten die Wolken schon eine schiefergraue Farbe angenommen und wirkten wie in der Luft schwebende, bullige Monster.
Eine Treppe führte nicht zur Tür hin, sondern eine Art Plattform, über die wir gingen und dann auf einen Klingelkopf schauten, der so hell glänzte, dass er einfach nicht übersehen werden konnte.
Bill drückte ihn mit dem Daumen nach unten und schaute mich erwartungsvoll an.
Lange brauchten wir auf eine Reaktion nicht zu warten, denn die Tür wurde recht schnell geöffnet.
Nicht Paul Erskine stand vor uns, sondern eine junge Frau in heller Bluse und Shorts.
»Bitte?«
Wir stellten uns vor und baten darum, Paul Erskine sprechen zu können.
Eine Hand strich durch dunkelblonde Locken. Die andere schob die dunkle Hornbrille wieder richtig auf die Nase, und dabei schüttelte die junge Frau den Kopf.
»Nein?«, fragte ich.
Da sie recht klein war, musste sie zu uns hochschauen. »Haben Sie einen Termin vereinbart?«
»Das haben wir nicht«, sagte ich.
»Dann tut es mir Leid. Mr. Erskine hat sich hingelegt. Er leidet unter Kopfschmerzen und...«
»Es dauert wirklich nicht lange«, sagte ich. »Außerdem haben wir eine lange Reise hinter uns.«
»Und vor Ihnen steht Bill Conolly«, sagte der Reporter und lächelte breit. »Wenn Sie etwas nachdenken, dann müsste Ihnen der Name schon etwas sagen.«
Die Frau tat ihm den Gefallen, und dann nickte sie. »Ja, Bill Conolly. Sie gehören zu den Sponsoren unseres Heims.«
»So ist es.«
»Na dann...«
Bill konnte es nicht lassen und fragte: »Hat der gute Paul jetzt keine Migräne mehr?«
»Doch, aber ich denke, dass sie nicht einfach nur ein willkürlicher Besucher sind.«
»Davon können Sie ausgehen.«
»Dann kommen Sie bitte herein.«
Wir betraten ein für meinen Geschmack düsteres Haus, was für die Blinden nicht tragisch war, denn sie sahen ja nichts. Ein wenig erinnerte mich der Bau auch an ein Gefängnis, aber dort hätten die Fenster bestimmt nicht weit offen gestanden.
»Liegt ihr Chef denn im Bett?«, fragte Bill.
»Nein, Mr. Conolly, so schlimm ist es nicht. Er befindet sich in seinem Büro. Aber ihm macht der bevorstehende Wetterwechsel zu schaffen, deshalb wollte er sich ausruhen.«
»Verständlich.«
Wir brauchten nicht weit zu gehen. Nur ein paar Schritte nach links, dann blieben wir vor einer Tür stehen, hinter der ein Büro lag. Das entnahmen wir einem schmalen Schild an der Wand.
»Moment«, sagte die blonde Mitarbeiterin und klopfte zwei Mal gegen die Tür. Es war eine Reaktion zu hören, aber wir verstanden nicht, was gesagt wurde.
Trotzdem drückte die Frau die Tür auf. Sie fiel nicht ganz zu. So konnten wir hören, was sie sagte, und wir erlebten auch die Reaktion des Heimleiters.
»Ich lasse bitten.«
Besser konnte es nicht laufen. »Dann wollen wir mal«, sagte Bill leise und drückte die Tür auf...
Mein Freund wurde mit einer Herzlichkeit empfangen, die mich überraschte. Dass Paul Erskine nicht hochsprang und ihm um den Hals fiel, glich schon einem kleinen Wunder.
»Das ist aber eine Freude, Sie hier zu sehen, Mr. Conolly.« Er wandte sich an mich. »Und Sie sind natürlich ebenfalls willkommen, Mister...«
»Ich heiße John Sinclair.«
»Meinen Namen kennen Sie ja.« Er deutete auf eine kleine Sitzgruppe und bat uns, Platz zu nehmen.
Paul Erskine war ein großer, fast schon stämmiger Mann mit braunen Haaren, etwas weichen Gesichtszügen und sehr wachen Augen, die uns musterten und abschätzten.
Er gab sich nach außen hin freundlich, sehr spontan auch, und seinen Kopfschmerzen merkte man äußerlich nichts an. Vielleicht hatte er sie auch nur
Weitere Kostenlose Bücher