Der Nachtschwärmer
grundlos hier im Heim. Sie kann zwar bedingt sehen, aber nur so schwach, dass sie in der normalen Welt nicht überleben könnte. So und nicht anders ist das. Ich gehe davon aus, dass sie sich etwas eingebildet hat. Sie besitzt eine große Fantasie, und sie hat auch von den Gerüchten gehört, die man sich in Penare und Umgebung erzählt. So etwas pflanzt sich fort. Unsere Gäste sind zwar blind, aber sie sind nicht taub. Deshalb kann ich das nicht glauben. Und bei ihrer Sehschwäche entdeckt sie oft Dinge, die anders aussehen als sie in der Wirklichkeit sind. Das muss man auch sagen.«
»Sie glauben ihr also nicht?«, fragte Bill.
»So ist es.«
»Tja, dann haben wir den weiten Weg also umsonst gemacht.« Bill schaute mich an und zwinkerte mir dabei zu. Er war noch nicht fertig und sagte dies sofort danach. »Nein, nicht ganz, Mr. Erskine. Um mir ein richtiges Bild zu verschaffen, würde ich gern ein paar Sätze mit Lorna reden.«
Dieser Vorschlag gefiel dem Mann nicht. Er sprach nicht, doch seine Mimik reichte uns. Es war ihm anzusehen, dass ihm unser Vorschlag Unbehagen bereitete.
»Sie sagen nichts, Mr. Erskine?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil ich Probleme damit habe. Und Sie werden diese auch bekommen, Mr. Conolly.«
»Warum?«
Erskine redete nicht um den heißen Brei herum. »Es ist nicht möglich, dass Sie Lorna sprechen können. Sie ist nicht da. Nicht in diesem Haus hier. Tut mir Leid.«
Sehr überraschte uns die Antwort nicht, denn die hatte sich bereits angedeutet.
Bill grinste nur schief und meinte: »Wann kommt sie denn zurück?«
»Heute nicht mehr.«
»Sondern?«
»In zwei bis drei Tagen, denke ich.«
»Hat Lorna Urlaub vom Heim bekommen?«
»Nein, Mr. Conolly, auch das trifft nicht zu. Sie musste leider zur Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht werden, weil sich ihre Sehkraft leider verschlechtert hat. Deshalb mussten wir sie leider oder zum Glück zu einem Spezialisten schaffen, der sie mindestens drei Tage bei sich behält, um sie in aller Ruhe zu untersuchen.«
»Und wo ist das?«, fragte ich.
»In Cardiff.«
»Das ist nicht eben in der Nähe.«
»Das wissen wir, Mr. Sinclair. Aber der Professor dort ist eine Kapazität, und wir tun für unsere Gäste wirklich alles, um sie zufrieden zu stellen.«
»Wie heißt die Klinik?«
»Es ist keine Klinik. Der Professor hat einige Betten in seiner Praxis.«
»Dann hat er auch einen Namen!«, sagte ich.
Erskine sagte zunächst nichts. Er schaute mir scharf in die Augen und fragte:«Warum wollen Sie das wissen?«
»Uns interessiert das Schicksal des Teenagers.«
»Das ist ja nett und auch legitim, aber Sie sollten mir glauben, dass wir das Beste getan haben.«
»Dann sagen Sie uns den Namen des Professors.«
Erskine stellte sich stur und schüttelte den Kopf. »Dazu bin ich nicht verpflichtet.« Er verengte jetzt seine Augen. »Überhaupt, Mr. Sinclair, welches Recht nehmen Sie sich heraus, uns derartige Fragen zu stellen? Bitte, sagen Sie es.«
Ich sagte es ihm nicht. Dafür griff ich mit einer langsamen Bewegung in die Tasche, holte meinen Ausweis hervor und legte ihn auf den Tisch. »Bitte, schauen Sie nach.«
Erskine zögerte. Er hatte seine Freundlichkeit längst verloren und schaute mich fast wütend an. Schließlich griff er mit spitzen Fingern nach dem Dokument und hielt es so dicht vor sein Gesicht wie jemand, der Probleme mit den Augen hatte.
»Polizei?«
»Scotland Yard.«
Mit einer Bewegung, die Widerwärtigkeit ausdrückte, warf er den Ausweis zurück auf den Tisch. »Ich wüsste nicht, was ich mit Scotland Yard zu tun hätte.«
»Sie nicht, Mr. Erskine. Aber hier sind einige Verbrechen geschehen, die aufgeklärt werden müssen. Dafür ist nun mal die Polizei zuständig, ob Ihnen das passt oder nicht.«
»Ich habe Ihnen nichts zu sagen!«, erklärte er steif. »Ich habe auch mit den Verbrechen nichts zu tun.«
»Wirklich nicht?«
»Glauben Sie, dass ich der Täter bin? Oder dieser... dieser Nachtschwärmer?«
»Das habe ich nicht behauptet, aber wir glauben, dass uns Lorna Higgins mehr darüber sagen könnte.«
»Möglich. Wahrscheinlich nicht. Sie ist nicht da, und sie hat sich in ihrem Brief etwas zusammengereimt. Wahrscheinlich wollte sie sich nur wichtig machen.«
»Und genau das wollen wir herausfinden.«
Bill sprach ihn an. »Nennen Sie uns den Namen!«
»Ja, gut. Es ist Professor Hutchinson in Cardiff.«
»Gut.«
»Sonst noch was?«
Ich deutete auf das Telefon. »Rufen Sie ihn an und
Weitere Kostenlose Bücher