Der Nachtschwärmer
Besonderes.«
»Das denke ich jetzt auch.«
Ich schaute wieder in das Gesicht des Mädchens und sah darin die Veränderung, die das glatte Gegenteil dessen zeigte, was ich vorhin noch erlebt hatte. Lorna zog jetzt eine finstere Miene und zwinkerte hinter den dicken Brillengläsern nervös.
»Was ist geschehen?«, fragte ich leise, fasste ihre Hand an und merkte auch ihr Zittern.
»Er«, sagte Lorna leise.
Wir ahnten beide, wen sie damit meinte, taten aber trotzdem unwissend. »Wen meinst du?«, fragte Bill.
Lorna schaute sich um und bewegte dabei hektisch den Kopf. Am meisten schaute sie in die Höhe, weil sie der Himmel interessierte. »Es wird gleich dunkel. Das ist seine Zeit. Dann ist er unterwegs. Das spüre ich genau.«
»Du meinst damit den Nachtschwärmer?«
»Ja, wen sonst? Er ist bereit. Er hat alles im Griff. Ich... ich... weiß auch nicht, wie die Dinge im Einzelnen Zusammenhängen, aber der Tod kann nicht schlimmer sein als er. Er ist der Tod. Er ist das Unheil, das die Nacht entlässt.«
Bei jedem ihrer Worte hatte sich die Gänsehaut auf ihrem Gesicht verdichtet. Wir waren nicht nur darüber froh, dass wir sie gefunden hatten, sondern freuten uns auch, dass sie nicht von dieser fremden Macht eingenommen worden war. Sie gehörte zu den Personen, die noch den Überblick behalten hatten. Leider war uns noch immer unbekannt, was der Nachtschwärmer mit den anderen drei Frauen angestellt hatte. Es stand nur fest, dass sie unter seinem Bann litten.
Bill Conolly warf mir einen bestimmten Blick zu. »Dann sollten wir uns beeilen und so schnell wie möglich von der Insel verschwinden.«
»Sicher.«
Als Bill sah, dass ich einen Blick auf die bewegungslosen Frauen warf, hob er die Schultern. »Die müssen wir mitnehmen. Ich denke, dass der Nachen uns alle trägt. Groß genug ist er ja.«
Es gab keine andere Möglichkeit. Ein jeder wusste, dass es eine gefährliche Reise werden würde, und dieser Meinung war auch Lorna Higgins, die einen leisen Ruf ausstieß und dann schnell den Kopf schüttelte.
»Mit einem Boot?«
»Ja, sonst geht es nicht«, sagte Bill.
»Mich hat er durch die Luft getragen.«
»Das wissen wir. Und mit den anderen drei Frauen ist das wohl ebenso gewesen.«
Es wäre besser gewesen, sie aus ihrem Zustand zurückzuholen. Das war uns jedoch nicht möglich. Sie würden nicht von allein laufen können, und so waren wir gezwungen, sie bis zum Nachen zu tragen.
Ich sprach mit Bill darüber, der natürlich einverstanden war. Wir würden uns die Frauen schnappen und mussten den Weg dann zwei Mal gehen. Beim letzten Mal konnte uns auch Lorna Higgins begleiten.
Sie hatte uns zugehört, nickte auch und fragte trotzdem: »Gibt es keine andere Möglichkeit?«
»Leider nicht.«
»Ich kann nicht so gut sehen, aber ich spüre, dass es mit dem normalen Tageslicht bald vorbei sein wird. Kann es sein, dass bald die Dämmerung kommen wird?«
»Ich denke schon«, sagte Bill.
»Dann kommt er auch.«
»Bis dahin sind wir im Boot.«
»Aber noch nicht in Sicherheit – oder?«
Darauf gaben wir keine Antwort. Lorna hatte ja Recht. Den Nachen zu entern bedeutete nicht, in Sicherheit zu sein. Auf dem Weg ans trockene Ufer konnte noch genug passieren, aber davon wollten wir uns jetzt nicht abhalten lassen.
Bill und ich setzten unseren Plan in die Tat um. Wir nahmen jeweils eine junge Frau auf unsere Arme und schleppten sie weg. Wendy Baxter ließen wir zurück. Wir würden sie holen, wenn wir auch Lorna über die Insel zum Nachen führen würden.
Jetzt erwies es sich als großer Vorteil, dass das Eiland nur diese kleinen Ausmaße besaß. Wir brauchten auch keine Rücksicht mehr darauf zu nehmen, entdeckt zu werden. Nach kurzer Zeit hatten wir das Ziel erreicht und atmeten beide auf, als wir den Nachen dort liegen sahen. Er war nicht ins Wasser gestoßen worden.
Aber es hatte sich auf dem Wasser etwas verändert. Zwar lag es noch da wie zuvor, aber über der glatten Oberfläche hatte sich der Dunst gesammelt und war dichter geworden. Nicht so dicht, als dass wir nichts mehr hätten sehen können, aber schon hinderlich, denn unseren Ausgangspunkt sahen wir nicht.
Bill hatte sich vor mir wieder aufgerichtet. Besorgt und mit gerunzelter Stirn schaute er über die Fläche hinweg und schüttelte leicht den Kopf.
»Wird nicht leicht sein, John. Da können wir uns sogar auf dieser kurzen Strecke im Sumpf verirren.«
»Denk nicht daran.«
»Das versuche ich ja. Klappt aber nicht.«
Wir liefen wieder
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