Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
Vom Netzwerk:
gebunden. An sie. Die Prüfung wird weitergehen. Einer von euch wird verlieren. Du hast keine Wahl in dieser Angelegenheit.«
    Marco nimmt eine Kugel vom Billardtisch und wirft sie nach dem Mann im grauen Anzug. Er weicht ihr mühelos aus, und sie landet krachend in dem Sonnenuntergang aus Buntglas.
    Wortlos kehrt Marco seinem Lehrmeister den Rücken zu, geht durchs Zimmer und zur Tür hinaus. In der Eingangshalle kommt er an Isobel vorbei, die das ganze Gespräch mitgehört hat, aber er bemerkt sie nicht. Er marschiert direkt in den Ballsaal und bahnt sich den Weg in die Mitte der Tanzfläche, wo er Celia am Arm packt und Herrn Thiessen entreißt.
    Marco zieht sie in einer smaragdgrünen Umarmung so dicht an sich, dass man nicht mehr erkennt, wo sein Anzug endet und ihr Kleid beginnt.
    Für Celia gibt es plötzlich nur noch ihn im Raum, als er sie in den Armen hält.
    Doch bevor sie ihrer Überraschung Ausdruck verleihen kann, presst er seine Lippen auf ihre, und sie versinkt in stummer Wonne.
    Marco küsst sie, als wären sie die beiden einzigen Menschen auf der Welt.
    Die Luft umwirbelt sie in einem Sturmwind, bauscht die Vorhänge und weht die Glastüren zum Garten auf.
    Alle Augen im überfüllten Ballsaal sind auf sie gerichtet.
    Und dann lässt er sie los und entfernt sich.
    Kaum ist er fort, haben fast alle den Vorfall wieder vergessen. Stattdessen herrscht eine vorübergehende Verwirrung, die der Hitze oder dem exzessiven Champagnergenuss zugeschrieben wird.
    Herr Thiessen kann sich nicht entsinnen, warum Celia plötzlich aufgehört hat zu tanzen, oder wann ihr Kleid dunkelgrün geworden ist.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragt er, als er merkt, dass sie zittert.
    *
    Mr A. H— stürmt durch die Eingangshalle und schafft es gerade noch, Poppet und Widget auszuweichen, die auf dem Boden fläzen und Bootes und Pavo beibringen, sich auf den Hinterbeinen im Kreis zu drehen.
    Widget reicht Bootes (oder Pavo) an Poppet weiter und geht dem Mann im grauen Anzug hinterher. Er beobachtet, wie er seinen grauen Zylinder und silberfarbenen Stock vom Butler entgegennimmt und nach draußen eilt. Widget presst die Nase an das nächste Fenster und sieht ihn aus dem Lichtkegel der Straßenlaternen in der Dunkelheit verschwinden.
    Poppet tritt mit den zufrieden schnurrenden Kätzchen auf den Schultern zu ihm. Chandresh bahnt sich, ihr dicht auf den Fersen, einen Weg durch die Menge im Flur.
    »Was ist los?«, fragt Poppet. »Was hast du?« Widget dreht sich vom Fenster weg.
    »Der Mann hat keinen Schatten«, sagt er, während Chandresh sich über die Zwillinge beugt und durchs Fenster auf die leere Straße späht.
    »Was hast du gesagt?«, fragt Chandresh, doch Poppet und Widget sind mit den orangefarbenen Kätzchen schon losgerannt und zwischen den kunterbunten Gästen verschwunden.

Gutenachtgeschichten
    CONCORD, MASSACHUSETTS, OKTOBER 1902
    B ailey verbringt fast den ganzen Abend mit Poppet und Widget und erforscht mit ihnen das Labyrinth. Ein verstörendes Gewusel aus Kammern, Fluren und irreführenden Türen. Zimmer, die sich drehen, oder solche mit leuchtendem Schachbrettmuster auf dem Boden. In einem Flur stapeln sich bis unter die Decke Koffer. In einem anderen schneit es.
    »Wie kann das sein?«, fragt Bailey, an dessen Mantel schmelzende Schneeflocken haften.
    Als Antwort wird er zu Widgets großem Vergnügen von Poppet mit einem Schneeball beworfen.
    Während sie das Labyrinth durchqueren, erzählt Widget die Geschichte des Minotaurus so ausführlich, dass Bailey an jeder Ecke damit rechnet, auf das Ungeheuer zu treffen.
    Sie erreichen einen Raum, der an einen großen eisernen Vogelkäfig erinnert, durch dessen Stäbe man aber nur Dunkelheit sehen kann. Die Falltür im Boden, durch die sie hineingekommen sind, fällt knallend zu und lässt sich nicht mehr öffnen. Einen anderen Ausgang scheint es nicht zu geben.
    Widget unterbricht seine Erzählungen, und sie machen sich daran, die silbernen Käfigstäbe einzeln zu untersuchen, ohne jedoch auf verborgene Öffnungen oder raffiniert versteckte Scharniere zu stoßen. Poppet wird sichtlich unruhig.
    Nachdem sie eine ganze Weile in dem Raum eingesperrt waren, findet Bailey unter der Vogelschaukel, die in der Mitte des Käfigs hängt, einen unter dem Sitz angebrachten Schlüssel. Als er ihn herumdreht, schnellt die Schaukel nach oben, und der obere Teil des Käfigs öffnet sich. Sie klettern hinaus und landen in einem düsteren, von einer weißen Sphinx bewachten

Weitere Kostenlose Bücher