Der Name Der Dunkelheit
intellektuelle Benchmark vor dem nächsten Treffen deutlich anheben«, murmelte Henning und hielt die Augen geschlossen. Es waren stets die Frauen, die Hennings Leben auf die nächste Stufe brachten. Meist war es dabei natürlich abwärts gegangen, aber Henning war auch bei Frauen ein Spieler.
»Sei auf der Hut. Frauen können klüger schreiben, als sie wirklich sind.«
Henning öffnete die Augen und nahm Haltung an. »Die Fehlertoleranz habe ich bereits herausgerechnet. Die Zeitung tarnt mich ausgezeichnet vor denen dort.«
Ein Dutzend Reporter war auf der anderen Seite der Halle tief in die Plastikschalensitze gerutscht und behielt mit einem Auge die Tür zu Station 12 im Blick. Die Sache war schon vor dem Morgengrauen durchgesickert. Kullgrens Schicksal war kein Geheimnis mehr.
Doch keiner der Reporter schickte sich an, Kjell oder Henning
zu erkennen. Dabei saßen sie wie Sonderangebote vor ihnen.
»Sie sind darauf geeicht, dass ein unrasierter Kommissar mit Trenchcoat durch die Tür dort kommt«, erklärte Henning. »Auf etwas anderes reagieren sie nicht.«
Kjell und Henning wechselten in die Cafeteria. Sie war nur ein durch Blumentöpfe eingezäunter Bereich in der Halle. Durch die Blätter der Pflanzen hindurch hatte man einen herrlichen Ausblick zum Eingang der Station.
»Die Kartei hat nichts ergeben«, sagte Henning. »Nicht das Geringste. Immerhin ist das Phantombild ganz gut geworden. Der Haftbefehl ist raus.«
»Hast du alle Frauen durchgesehen?«
Henning nickte erschöpft.
»Andererseits hat Kullgren sie erkannt.«
»Deshalb muss sie nicht in unserer Kartei sein. Die Gegengruppe hat tagelang selbst ermittelt. Kullgren kann dabei auf die Frau gestoßen sein, ohne ihr eine zentrale Rolle zuzumessen. Und als er sie dann auf der Straße laufen sah, ist ihm ein Licht aufgegangen.«
Kjell musterte seinen Streuselkuchen. Irgendetwas daran sah verdächtig aus. »So kann es nicht gewesen sein, Henning. Kullgren hätte nie das Feuer eröffnet.«
»Stimmt auch wieder.«
»Wie Theresa die Sache schildert, hat Kullgren weder gerufen noch einen Warnschuss abgegeben. Er hat auf die Frau gezielt und wollte sie treffen.«
»Das würde ein Polizist niemals tun«, sagte Henning wieder, obwohl er es seit der Nacht schon dreißigmal gesagt hatte.
»Wenn er sich an die Vorschrift hält.«
»Das ist bei Kullgren natürlich die Frage.«
»Es geht nicht um Vorschriften«, sagte Kjell. »Wie er gehandelt
hat, steht im Widerspruch zu allen Prinzipien des Polizeiberufs. Stell dir vor, er hätte getroffen und sie getötet. Dann hätte er viel zu erklären gehabt. Man hätte ihn sofort entlassen und Anklage gegen ihn erhoben. Und es wäre zu einem Urteil gekommen, da kannst du sicher sein.«
An der Stationstür tat sich etwas. Die Reporter sprangen auf und scharten sich um den Eingang. Ein Schatten wuchs jenseits der Milchglastür und entpuppte sich dann als Krankenschwester. Die Reporter setzten sich wieder.
»Was machen wir mit denen?«, fragte Henning.
Kjell reagierte nicht. Er hing mit seinen Gedanken immer noch bei Kullgren. So sinnlos sein Verhalten in der vergangenen Nacht auch schien: Kullgren hätte nicht zum ersten Mal mit kühler Absicht gehandelt. »Ob die Frau verletzt wurde?«
»Es gibt keinen Hinweis darauf.«
Bisher hatte man Fußspuren im Schnee gefunden, doch sie verloren sich ein Stück vom Haus entfernt, weil die Straße vereist oder übersät mit anderen Abdrücken war. Von den Einschlagstellen der Kugeln waren in der Dunkelheit erst drei ausfindig gemacht.
»Es gibt außer Kullgren eine weitere Person, die wissen muss, warum Kullgren geschossen hat.«
Hennings Augenbrauen hoben sich vor Erstaunen. Das tat er stets mit Absicht und nie aus Reflex.
»Die Frau natürlich.«
»Da hast du recht. Die muss es wissen.«
»Und solange Kullgren lebt, ist sie mit ihrem Wissen nicht allein.«
Henning warf einen Blick zur Station. »Glaubst du etwa, Kullgren ist in Gefahr?«
»Polizisten schießen erst, wenn der Verfolgte unter gewissen Umständen nicht aufgibt und das eigene Leben bedroht
ist. Das kann der einzige Grund für Kullgrens Verhalten sein. Er wusste vorher, wie gefährlich die Frau ist und wie sie reagieren würde. Und seine Einschätzung erwies sich als richtig. Sie hat sofort geschossen. Im Gegensatz zu ihm traf sie sogar. Das ist der Beweis.«
Die beiden schwiegen eine Weile. Sobald Kullgren den Mund aufmachte, würde er ihnen mitteilen, wer diese Frau war. Und nun war allgemein
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