Der Name Der Dunkelheit
Listen gemacht.«
Sofi ließ ihren Notizblock mit der Liste all ihrer Fragen auf das Polster gleiten. »Und ihr Urteil lautete dann, dass sie nicht mehr die Jüngste war und keines ihrer Ziele erreichen würde.«
»Das befreit einen doch«, fand er nach einigem Überlegen.
»Oder es überzeugt einen, dem Leben nicht gewachsen zu sein. Und da hat sie einfach aufgegeben.«
Der Vater nickte halbherzig. Elins Entschluss verstand er
dennoch nicht. Das sah Sofi ihm deutlich an. Sofi fand ihren Vorschlag selbst hypothetisch, aber bei ihrer Arbeit stieß sie dauernd auf Depressionen und Ängste und nie auf einen Grund dafür. Sie deutete auf das Regal. »In Kriminalromanen haben die Leute immer gute Motive und treffen klare Entscheidungen. In der Wirklichkeit trifft man so gut wie nie Entscheidungen. Meist ergibt sich das Nächste aus dem Vorherigen.« Dass Morde eher auf Stimmungen und fehlender Intelligenz beruhten statt auf Motiven, verschwieg Sofi lieber. »Du kannst es nicht nachvollziehen, oder? Dass sie sich einen schönen Platz sucht, um aufzugeben.«
»Mir will nur nicht in den Kopf, wie sie es mit dem Rollstuhl dorthin geschafft hat.«
9
Kjell erreichte den Kamm des Schneehaufens zuerst. Henning sank mit seinem Gewicht bis zum Schritt ein und kam nur mühsam voran. Der Winterdienst hatte die Wege des Karolinska säuberlich geräumt und all den Schnee vor der unscheinbaren Einfahrt zum Hof der Rechtsmedizin aufgehäuft, dem einzigen Institut auf dem ganzen Gelände, wo an den Feiertagen gearbeitet wurde.
Kjell streckte Henning die Hand entgegen. Als sie sich auf der anderen Seite des Schneehaufens an den Abstieg machten, sahen sie Suunaat Kjærgaard im Eingang des Gebäudes stehen und die Tür offen halten. Sie beobachtete die beiden Männer beim Händchenhalten, ohne sich zu regen. Dafür schrie wieder die Krähe in der Fichte.
»Warum habt ihr nicht den Eingang auf der anderen Seite genommen?«, fragte sie, als sich die beiden vor ihr den Schnee von den Schuhen stampften.
»Wir kommen immer von hier«, erwiderte Henning und warf Kjell einen fragenden Blick zu.
Aber der hatte auch noch nie vom anderen Eingang gehört und konnte nur mit den Schultern zucken. Ihnen graute vor der nächsten halben Stunde. Wie in jedem Jahr traf sich die Elite der Depressiven im Kühlraum des rechtsmedizinischen Instituts. Zum Glück waren dieses Jahr keine ›Familienangelegenheiten‹ dabei, zum Beispiel ein Mann, in dessen Kopf ein frisch ausgepacktes Bügeleisen steckte.
Suunaat führte sie durch den orange gestrichenen Korridor und hielt vor einer Tür, hinter der Kjell immer die Putzkammer vermutet hatte.
»Im Klimaraum bewahren wir normalerweise Proben auf.« Und die Milch für den Kaffee. Sie drängten sich zwischen die Regale und den Tisch in der Mitte. Sämtliche Behälter, die sonst darauf standen, waren in aller Eile in die Regale gestapelt worden. »Das ist der einzige Raum, in dem ich Temperatur und Luftfeuchtigkeit genau regulieren kann.«
Das war wohl der Grund, weshalb Elin Gustafsson hier unter einer Glashaube lag wie eine katholische Reliquie. Henning grunzte.
»Ich führe ein kontrolliertes und normiertes Auftauen durch.«
»Aber es ist so kalt wie draußen«, äußerte Kjell. »Wie soll sie hier auftauen?«
Elin war bereits zur Mittagszeit aufgetaut. Danach hatte Suunaat den Leichnam in Augenschein genommen und daran keine Zeichen von Gewalt festgestellt. »Seit zwei Stunden kühlt sie wieder ab«, beendete sie ihre Erklärung. Und zwar genau bei der Temperatur und Luftfeuchtigkeit, die am Abend zuvor am Strandbad von Langholmen geherrscht hatten. »Den Wind simulieren wir nicht, weil der Körper rasch von Schnee bedeckt war.«
»Isolation«, brummte Henning. »Verstehe.«
Suunaat schwieg, was bei ihr sowohl Bestätigung oder Ablehnung bedeuten konnte. Sie wies auf die drei Kabel, die in den Körper führten. »Die Kerntemperatur fällt sogar noch langsamer, als ich erwartet habe.«
»Ist das ein Widerspruch?«, fragte Kjell.
»Ein Widerspruch, ja. Wie groß, das sage ich dir, wenn der Temperaturausgleich abgeschlossen ist.«
»Und wie lange dauert das? Ungefähr?«
»Zu lange. Ein Widerspruch.«
Kjell seufzte, und Henning seufzte unmittelbar nach ihm. Sie verglichen die Aussage von Esbjörn Fors mit dem Befund. Elins Körper musste bereits gefroren gewesen sein, als der Nachbar die Stelle vor dem Ufer am Morgen noch leer gesehen hatte.
Henning verlagerte sein Gewicht auf das linke Bein.
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