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Der Name Der Dunkelheit

Titel: Der Name Der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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werden konnte. Von denen, die am Djúp aufgewachsen waren - das war ein Fjord, der so tief war, dass man ihn gleich ›die Tiefe‹ nannte -, von denen glaubte so gut wie keiner an den Herrn. Man musste nur die Gardine beiseiteschieben und hatte mit dem Fjord die grundlose Tiefe gleich vor der Nase. Gardinen besaßen deshalb alle in der Nachbarschaft, und wie alle vom Djúp hatte auch der Großvater an die Unerklärlichkeit des Unerklärlichen geglaubt sowie an die Kraft seiner beiden Arme.
    So war auch Hulda nicht religiös. Wenn sie mit Gott sprechen wollte, legte sie einfach den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel.
    Hundslappsdrífur - Hundepfotenflocken - schwebten vom Himmel. Weil um diese Zeit keine Seele mehr unterwegs war, schlenderte sie mitten auf der schneebedeckten Straße. Später
blieb sie stehen und machte ein Foto von der Häuserflucht, der Laterne und den vielen Hundepfotenflocken. Als sie den Apparat in der Tasche ihres Regenmantels verstaute, schien sich das Bild vor ihr auf einmal im Fluchtpunkt zu öffnen. Dort am fernen Ende erschien mitten auf der Straße ein kleiner Punkt. Er leuchtete nicht und war auch zu klein, um ein Auto zu sein. Jemand schien auf sie zuzuschweben. Der Umriss wurde grö- ßer, und Hulda begriff: Wo am Tag die Autos fuhren, glitt jemand auf Skiern dahin.
    Hulda blieb reglos stehen. Der Skifahrer kam eine Skilänge vor ihr zum Stehen und schob sich die Skibrille von den Augen. »Hulda? Verdammt, wie kommst du hierher?«
    Hulda wollte jetzt keine Wörter verwenden.
    Henning Larsson zog sich die Mütze vom Kopf. Er war ein wenig außer Atem. »Wie lange bist du schon hier draußen?«
    Sie hob die Schultern und lächelte.
    »Deine Lippen sind ganz blau. Lass uns etwas trinken gehen.«
    Hulda sah sich um. Die Renstiernas Gatan lag verlassen da.
    »Dort hinten in der Skånegatan. Da kann man sich aufwärmen.«
    Er schnallte seine Skier ab und schwang sie über die Schulter.
    »Fährst du oft Ski?«, fragte Hulda, als sie eine Weile nebeneinanderher gegangen waren. »In der Stadt, meine ich.«
    Henning dachte angestrengt nach. »Nur im Winter.«
    Sie lachte.
    »Das hat schon mein Vater gemacht. Und von ihm habe ich es. Meinen Hüften tut es gut.«
    Die Bar hatte große Fenster, durch die man rote Wände und Kerzen auf den Tischen sah. Sie reihten sich in die Anstehschlange. Neugierig wartete Hulda darauf, was Henning
Larsson jetzt vorhatte. Er trug einen in die Jahre gekommenen Schneeanzug und hatte sich seine Skibrille um den Hals gehängt. Am meisten fielen natürlich seine Skier auf. Die gut gekleideten Leute vor ihnen drehten sich um und tuschelten.
    Als die Reihe an sie kam, lächelte der Türsteher zur Begrü ßung, nahm Henning Skier und Stöcke ab wie einen Mantel und lehnte sie neben sich gegen die Hauswand.
    »Den kanntest du«, bemerkte Hulda nach dem Eintreten. »Sonst hätte der dich nicht reingelassen, in deiner Montur, und mit mir.«
    »Nur ein bisschen. Man muss es immer darauf ankommen lassen im Leben, weißt du!«
    »Das weiß ich.«
    »An die Bar vielleicht?«
    Dieser Vorschlag gefiel Hulda, schon allein weil der Mann im Skianzug und das Mädchen im gelben Regenmantel dazu das gesamte Lokal durchschreiten mussten.
    »Was hast du denn Schönes?«, fragte Henning Larsson den Barkeeper. Seine Stimme klang, als hätte er sich wochenlang auf diesen Abend gefreut.
    Der Mann auf der anderen Seite der Bar musterte Henning von oben bis zur Hüfte. »Einen Grog vielleicht?«
    »Passt gut. Du willst wahrscheinlich keinen Grog, Hulda.«
    Hulda kletterte auf den Hocker. »Hast du zufällig Absinth?«
    Henning drehte sich zu ihr. »Absinth ist so eine Sache, weißt du. Wenn du unbedingt feiern willst, kannst du es mit einem Leichtbier probieren.«
    Der Mann hinter der Bar verfolgte die Beratung mit Belustigung. »Absinth trinkt man eigentlich am Nachmittag. Zur grünen Stunde. Falls den überhaupt jemand trinkt.«
    Hulda faltete ihre Hände und schwieg. Sie verstand nicht, was es noch zu diskutieren gab. Bier war für Dummköpfe, Absinth
für Poeten. Er konnte die Zukunft zerstören oder prophezeien. Das war genau das Richtige für sie.
    Henning zeigte seinen Ausweis und behauptete, es handelte sich um eine polizeilich sanktionierte Maßnahme. Sein Grog kam schnell, der Absinth musste gesucht werden. Der Barkeeper stellte ein Glas vor Hulda, das wie eine Birne gewölbt war. Hulda beobachtete genau, wie er etwas Saft hineingab und dann den Absinth. Sie

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